Einblick in die Ausstellung des Museums.

Unscheinbarer Gesetzestext erzählt emotionale Geschichte

Wenn man in den ersten Stock des Kölnisches Stadtmuseums geht, dann findet man dort eine Reihe kleiner Vitrinen. In einer von ihnen steht ein etwas abgenutztes Buch, ein Gesetzestext, „Öffentliches Recht“ von C.H. Beck. Es wurde oft in die Hand genommen und durchgearbeitet, das sieht man sofort, nicht nur an den vielen kleinen Post-It-Zetteln, die aus ihm herausschauen. Was hat es mit diesem Buch auf sich? Warum gehört es in ein Museum? Was verbirgt sich hinter diesem Ausstellungsstück? Diese Fragen kann Samiha Guedri beantworten, denn es ist ihr Gesetzestext, der dort hinter Glas steht. Sie erzählt uns die Geschichte zu diesem Buch, eine sehr persönliche Geschichte, die für Samiha Guedri einen Wendepunkt in ihrem Leben markiert und für sie von entscheidender Bedeutung ist.

Stadtgeschichte von allen für alle

Oft wird Geschichte entlang von berühmten Menschen und Ereignissen erzählt. Das ist auch bei Stadtgeschichte meist nicht anders. Das Kölnische Stadtmuseum geht einen etwas anderen Weg: In der neuen Dauerausstellung soll die Vielfalt gezeigt werden, die die Domstadt ausmacht. Ein Museum von ALLEN für ALLE. Um dies zu erreichen, wurde von Beginn an auf Partizipation gesetzt: Eine bunt gemischte Gruppe aus Kölner*innen hatte im Rahmen von Workshops und Diskussionsrunden die Möglichkeit, sich bei der Konzeption der aktuellen Ausstellung einzubringen.

Nicht nur mit ihren Ideen konnten sich die Kölnerinnen und Kölner einbringen, sondern jeweils auch mit einem persönlichen Exponat: Ein Gegenstand aus dem eigenen Leben, der besondere Bedeutung hat und eine Geschichte erzählt. Diese Alltagsgegenstände stehen nun zwischen den anderen, historisch bedeutsamen Exponaten der Stadtgeschichte und werfen kaleidoskopartig einen Blick auf das vielfältige Leben in Köln. So auch der Gesetzestext von Samiha Guedri.

Energie und Entschlossenheit

Wir treffen uns im Museum, direkt vor dem Exponat von Samiha Guedri. Dort erzählt die dynamische und sympathische Frau, was es mit ihrem Ausstellungsstück auf sich hat. Schon in den ersten Minuten des Gesprächs fällt auf, dass Samiha Guedri viel Energie und Entschlossenheit ausstrahlt. Die 37-jährige Juristin wirkt selbstbewusst und lebensbejahend. Ein Mensch, der mit beiden Beinen im Leben steht und stolz ist auf das, was er erreicht hat.

Ob dieser Eindruck richtig sei, frage ich. „Ja, ich bin wirklich sehr stolz und zufrieden mit dem, was ich geschafft habe. Meine Tätigkeit als Juristin im öffentlichen Dienst erfüllt mich sehr, ich bin froh, dort angekommen zu sein, wo ich gerade bin.“

Aber, so erzählt die Tochter von tunesischen Einwanderern aus den 70er Jahren, der Weg bis hierher sei teilweise sehr hart gewesen. Vor allem der Beginn ihres Jurastudiums gestaltete sich für Samiha Guedri sehr schwierig: „Eigentlich fiel mir Lernen und Schule immer leicht. Ich war Klassensprecherin, mit Schüler*innen und Lehrer*innen sehr gut vernetzt, alles kein Problem. Sie sei es gewohnt gewesen, in einer zwischenmenschlichen sehr angenehmen Atmosphäre zu lernen und dort ihre Leistungen zu erbringen.

Doch mit dem Wechsel in die Universität gab es spürbare Veränderungen.  Dabei freute sich die junge Abiturientin auf ihr Studium, denn sie weiß schon lange, was sie machen möchte: „Ich wollte schon Jura studieren, seit ich 14/15 Jahre alt war. Das war immer mein Ziel. Das wusste ich immer schon und entsprechend habe ich mich gleich nach dem Abitur für das Jurastudium beworben.“

Konkurrenzdenken und Einzelkampf

„Der Studienbeginn war sehr schwierig “, berichtet Samiha. Besonders auffällig:  Menschen mit Migrationshintergrund waren in ihrem Semester eher die Minderheit. Daneben hatte sie viele Mitstudierende, die aus Akademiker- und oft auch aus Juristen-Familien stammten und deren berufliche Perspektive schon mehr oder weniger feststand. Sie gehörte nicht dazu.

Hinzu kam, dass im Jura-Studium eine ganz andere Mentalität vorherrschte, als sie es in der Schule gewohnt oder aber in anderen Studiengängen die Regel war; weder Teamwork noch ein sonstiges Miteinander standen im Fokus. „Du warst einfach eine Matrikelnummer“, erinnert sich Samiha. Zwischen den Studierenden herrschte ein starker Konkurrenzkampf, man half sich wenig. So sei das Teilen der Lern-Unterlagen oder anderer hilfreichen Informationen eher eine Ausnahme, jeder habe wertvolles Wissen lieber für sich behalten.

„Es war im ersten Semester eine für mich grauenhafte Stimmung, die an der Uni herrschte. Ich kam damit überhaupt nicht zurecht. Ich fühlte mich unwohl, als wäre das nicht mein Weg. Damals habe ich den Glauben an mich selbst und meine Ziele fast verloren.“  Obwohl ihre fachlichen Leistungen passten und Samiha Guedri alle Klausuren bestand, fühlte sie sich von der Situation so abgeschreckt, dass sie aufhören wollte. Den anonymen und ziemlich rauen Umgang untereinander empfand sie als äußerst belastend. Sie sagt: „Ich war eigentlich schon so gut wie entschlossen, das Handtuch zu werfen und mein Studium zu beenden.“

Familie macht Mut

„An dieser Stelle hat mir meine Familie geholfen. Sie hat mich an meine Ziele erinnert und mir Mut gemacht, durchzuhalten und nicht aufzugeben“, so die Juristin. Das habe sie ins Nachdenken gebracht. Sie habe dann entschieden, weiterzumachen, die Atmosphäre zu ignorieren, sich selbst und ihrer Art treu zu bleiben und weiter an sich zu glauben. Sie hat an ihrem Traum festgehalten: „Der Gesetzestext „Öffentliches Recht“, der hier im Museum ausgestellt ist, erinnert mich an diesen Wendepunkt. Ich war in einer großen Krise, ich habe mich durch äußere Einflüsse demotivieren lassen und ich war kurz davor aufzugeben, aber ich habe weitergemacht. Ich habe u.a. für die Zwischenprüfung im Öffentlichen Recht gelernt und bestanden.“

Für sie, so erzählt Samiha Guerdi weiter, sei damit alles besser geworden. Es war, wie ein Knoten, der plötzlich geplatzt ist, eine Erleichterung. Sie habe aus diesem Erlebnis Kraft geschöpft. Obwohl sie immer mal wieder harte Phasen im Studium gehabt habe, so zum Beispiel während der Vorbereitungszeit zum ersten  Staatsexamen, sei sie nie wieder ins Wanken gekommen. Alles Zweifel waren erledigt, ihr Ziel sei ab dieser Krise immer klar gewesen. „Der Beck-Text „Öffentliches Recht“ steht für mich deshalb nicht für etwas Negatives, sondern für den Neubeginn, den Glauben an mich selbst und die Überzeugung vom  Erfolg.“

Stolz auf ihr Exponat

Wie es sich denn anfühle, mit so einer persönlichen Geschichte in einem Museum ausgestellt zu sein. Samiha lacht. „Das ist toll“, sagt sie und es mache sie stolz. Manchmal sei sie zwar etwas wehmütig, ihren für sie so wichtigen Text abgegeben zu haben. Aber sie sei sehr froh, dass sie Anderen durch diese Geschichte Mut machen und ihre Erfahrungen auf diese Weise teilen könne. „Mein Ziel ist es, dass die Besucher*innen des Museums den Fokus auf den positiven Aspekt meiner Geschichte richten – es geht nicht darum, wie „dramatisch“ und schlimm das alles für mich war, sondern um die positive Entwicklung, der starke Glaube an mich selbst und die unumstößliche Entschlossenheit, die sich daraus ergeben hatten; es geht darum, dass ich sehr wahrscheinlich – davon bin ich überzeugt – gerade durch und wegen dieses Tiefpunktes meinen ganz persönlichen Höhepunkt erreicht habe. Damit möchte ich die Menschen motivieren!“.

„Gleich bei der Eröffnung war ich mit einer meiner Schwestern, Yosra Guedri, hier. “ Und auch die anderen Familienmitglieder und verschiedene Freund*innen hätten ihren Besuch im Museum schon angekündigt, einige seien schon hier gewesen. Sie komme gern hierher, vor allem weil die Ausstellung insgesamt wirklich gelungen sei.

„Modern und überhaupt nicht angestaubt“

Samiha Guedri ist froh, Teil des Partizipationsprojektes gewesen zu sein. „Es war eine tolle Erfahrung“, erzählt sie. „Die Teilnehmer*innen der Gruppe waren alle komplett unterschiedlich, trotzdem oder vielleicht gerade deshalb haben wir uns super verstanden und toll zusammengearbeitet. Wir konnten uns alle einbringen und an allen Stationen mitarbeiten. Jeder konnte individuell sein Engagement bestimmen, es wurde niemals Druck oder Stress gemacht. Gleichzeitig herrschte von Beginn an eine vertraute Atmosphäre und jeder brachte ein unglaubliches Maß an Empathie für den anderen und seine Geschichten mit.“

Mit der neuen Dauerausstellung des Kölnischen Stadtmuseums sei es gelungen, Stadtgeschichte spannend, modern und inspirierend zu erzählen. Das Museum sei wirklich schön geworden, das allgemeine Image oder Klischee von „angestaubten Museen“ sei damit definitiv passé.

„Durch meine Arbeit und sonstige Verpflichtungen bin ich sehr eingespannt und gehe inzwischen viel zu selten in Museen. Dabei ist das etwas so Tolles. Ich habe jedenfalls vor, hier im Kölnischen Stadtmuseum in Zukunft immer mal wieder vorbeizukommen und mir natürlich auch andere Ausstellungen anzuschauen. Ich finde, das lohnt sich.“