Der Zerstörung entgangen

Für das mittelalterliche Köln ist ein prunkvolles Ratssilber überliefert, das jedoch im Lauf der Jahrhunderte nach und nach verloren ging. Ende des 19. Jahrhunderts wurde entschieden, das verlorene Silber zu ersetzen. Die letzten Prunkstücke, darunter der Tafelaufsatz »Jan und Griet« nach dem Entwurf von Fritz Müller und ausgeführt von August Rohrmüller, wurden 1926 zur Erinnerung an den Abzug der britischen Besatzungstruppen durch den Stadtverordneten Louis Hagen gestiftet. Mit der Überweisung des weitaus größten Teils des historischen Ratssilbers 1969 an das Kölnische Stadtmuseum gelangte auch dieser Tafelaufsatz in die Bestände des Museums.


Zu sehen ist ein Tafelaufsatz aus Silber. Zu sehen sind verschiedene Personen und Tiere, die aufeinanderstehen und an der Spitze eine Kugel halten.
Tafelaufsatz »Jan und Griet«
Köln, 1929.
Foto: rba_d033547

Auch das alte Köln verfügte über ein Ratssilber. Davon war nur noch ein einziger Pokal erhalten, als man sich Ende des 19. Jahrhunderts entschloss, ein neues zu fertigen. Gestiftet von Kölner Familien, entstand der Schatz, prächtiger als je zuvor, geschaffen im Geist und Stil des Historismus. 1913 war das Ensemble vorerst abgeschlossen.

Zur Erinnerung an den Abzug der Besatzungstruppen und die Befreiungsfeier mit Reichspräsident Hindenburg in Köln stiftete der Stadtverordnete Louis Hagen am 21. März 1926 für die Ergänzung des Ratssilbers um vier Tafelaufsätze und acht Leuchter 30.000 Mark. Aus einem Wettbewerb Anfang 1927 ging Fritz Müller als Sieger hervor, Meisterschüler an den Kölner Werkschulen unter der Leitung von Richard Riemerschmid. Es folgten Angebote der ausführenden Ateliers, den Zuschlag für den Tafelaufsatz »Jan und Griet« erhielt die Werkstatt A. Rohrmüller. Allein dieses Werk kostete 10.550 Mark – und war noch das preiswerteste. Da Hagen die Summe nicht erhöhen wollte, verzichtete man auf die Leuchter.

Alle Tafelaufsätze hatten beliebte Kölner Legenden zum Thema – dieser hier die Sage von Jan und Griet. Die Geschichte von Jan von Werth, des aus dem Dreißigjährigen Krieg siegreich zurückkehrenden Helden und seiner Griet, um die er warb, die ihn abwies und dies später bereute, ist von unten nach oben abzulesen und wird durch Inschriften kommentiert: »Jan wirbt vergeblich um Griet. Er wird Soldat. Der tapfere Jan wird Feldmarschall.«

Das Thema war populär. Die moderne Ausführung weniger. Müller orientierte sich nicht an den übrigen Stücken des Ratssilbers im Stil des Historismus oder zuletzt eines verhaltenen Jugendstils, sondern schuf etwas völlig Neues. Sein Aufsatz ruht auf einer Kuh, besteht aus abstrahierten Figuren, und wird von einer durchbrochenen Kugel bekrönt, die Blumenschmuck aufnehmen konnte. An diesem turmartigen Gebilde im leicht expressionistischen Stil mit geometrischen Formen des Art déco schieden sich die Geister.

Die Fachpresse lobte Künstler und Werk. »Freilich«, räumte man ein, sei es »eine bei allem Ideenreichtum und allem handwerklichen Können tief problematische Arbeit, und es ist nicht zu verwundern, daß sie viel Kritik und Ablehnung erfahren hat. Aber zugleich ist sie ein Beweis für den schönen Mut und den Glauben an die Jugend.« – wovon Direktor Riemerschmid »beseelt« sei. Sein Nachfolger wurde 1931 der Kölner Museumsdirektor Karl With, protegiert von Adenauer.

Mit dem Machtantritt der Nationalsozialisten mussten 1933 Direktor und Oberbürgermeister ihre Stellung räumen. Nun wehte ein anderer Wind. Die Werkschulen verloren ihre Bedeutung. Im Oktober 1933 verurteilte die NS-Presse die Tafelaufsätze. Man sah »Auflösung und Verzerrung der Formen« und witterte »den Einfluß bolschwikischer Kunstanschauung«. Entartete Kunst also, zudem gestiftet von einem Juden – und dies auf der Festtafel des Oberbürgermeisters. Die Tafelaufsätze »10.000 Jungfrauen« und »Richmodis« wurden nach 1936 zerstört, unter maßgeblicher Beteiligung des NSOberbürgermeisters Schmidt und seines Stiefvaters Berthold, des neuen Leiters der Werkschulen. Warum der Tafelaufsatz »Jan und Griet« der Zerstörung entgangen ist, lässt sich nicht rekonstruieren. Niemand hat sich diesem Akt der Barbarei entgegengestellt – »Jan, wer et hätt gewoß. Griet, wer et hätt gedonn.«

Den Tafelaufsatz überwies 1969 die Kämmerei der Stadt Köln mit dem gesamten historischen Kölner Ratssilber an das Kölnische Stadtmuseum. Sein größter Teil wird in der Dauerausstellung präsentiert, ausgewählte Stücke befinden sich in der Prophetenkammer des Rathauses und werden nach wie vor zu besonderen Anlässen auf der Festtafel im Hansasaal präsentiert. Seit 1970 wird das Ratssilber nach und nach ergänzt durch zeitgenössische Silber- und Goldschmiedearbeiten – auch heute noch gestiftet von Kölner Bürgern. Auf diese modernen Entwürfe verständigt man sich in Wettbewerben, die Ergebnisse des letzten stellte der Oberbürgermeister im Januar 2008 der Presse vor.


Tafelaufsatz »Jan und Griet«, Köln, 1929, graviert: »Fritz Müller, Ausführung A. Rohrmüller«, Silber, gegossen, und Elfenbein, H: 93 cm, ohne Marken, Inv.-Nr. KSM 1969/415,6. Überweisung der Kämmerei an das Kölnische Stadtmuseumm, 1969. Foto: rba_d033547

Autor: Dr. Mario Kramp