Von der Maas bis an die Memel …
Seit den 1950er-Jahren hatte das Kölnische Stadtmuseum mehrere große grafische Konvolute aus dem Nachlass des 1949 verstorbenen Roland Anheisser erworben. Neben Motiven aus Köln finden sich darunter Bilder aus ganz Europa.
Voller Stolz verkündete Oberkustos Dr. Werner Jüttner, Leiter der Graphischen Sammlung: »Dem Kölnischen Stadtmuseum ist es gelungen, (…) große Teile aus dem Nachlaß des im Jahre 1949 in Jugenheim an der Bergstraße verstorbenen Zeichners und Malers Dr. Robert Anheißer zu erwerben.« Etwa 1.700 Bleistift- und Federzeichnungen, Aquarelle und Radierungen bereichern seitdem den Bestand an Kölner und rheinischer Topographie, an Darstellungen aus Belgien, den Niederlanden, ja selbst aus Polen. Der Ankauf erfolgte wegen des hohen Preises über mehrere Jahre hinweg.
Roland Anheißer wurde 1877 in Düsseldorf geboren, hielt sich aber oft bei seinem Großvater väterlicherseits in der Kölner Südstadt auf. In der Kölner Flora machte er eine Gärtnerlehre, bevor er in Bonn und Jena Botanik und Zoologie studierte. In Basel erlebte er eine Art künstlerische Erweckung »im Anblick der alten herrlichen Straßenbilder und mittelalterlichen Bauten. Der in Köln entzündete Funke wurde zur Flamme entfacht.« In Darmstadt und Karlsruhe verfeinerte er seine künstlerischen Techniken.
1918 erwarb die Familie in Jugenheim an der Bergstraße ein Landhaus mit Garten, aber Anheißer reiste wie zuvor kreuz und quer durch Europa. Es entstanden über 10.000 Zeichnungen und Aquarelle, nach denen seine gut verkäuflichen Radierungen entstanden. Er publizierte auch Bild- und Buchwerke mit zum Teil belanglosen Texten. Besonders peinlich sind seine nach 1933 erschienen Werke. So erinnert er im Vorwort seines 1943 erschienenen Flandernwerkes an die Zerstörung belgischer Städte im Ersten Weltkrieg – »Schon im Weltkrieg 1914–18 wurde das herrliche Ypern ein Trümmerhaufen«, dank der deutschen Armee, aber auf diesen Hinweis verzichtet Anheißer, um sich wenig später darüber zu beklagen, dass sein Haus mit seiner Bibliothek und »einem großen Teil seiner künstlerischen Originalarbeiten (…) durch einen feindlichen Terrorangriff« zerstört worden sei.
Bediente sich der immerhin 66-jährige Anheißer im Angesicht des um ihn herum tobenden Krieges auch so gut wie gar nicht der üblichen NS-Phrasen, so klang das nur acht Jahre zuvor ganz anders. Jüttner hatte bei der Erwerbung 1961 betont, Anheißer habe die alte Bausubstanz aus ganz Europa mit dem Schwerpunkt auf das Rheinland dokumentiert, sie »mit zeichnerischer Akribie und meisterlich-akademischer Strichführung« erfasst. Vieles sei »heute« [1961] nicht mehr erhalten. 1935 publizierte Anheißer »Das mittelalterliche Wohnhaus in deutschstämmigen Landen«; den Druck finanzierten unter anderem großzügige Spenden der Familien Merck, Duisberg und Henkel. Hierin wurde alles, was ihm in Europa gefiel, ja jede zivilisatorische Leistung überhaupt, als Tat deutschstämmiger oder wenigstens germanischer Völker dargestellt. Zudem erklärt Anheißer ganz Europa von der Nordsee bis nach Ungarn und ins Baltikum (also zwischen Maas und Memel), zwischen Südtirol und Dänemark (von der Etsch bis an den Belt), die Schweiz eingeschlossen, als deutschen und verwandten Stämmen zugehörig, mithin vom Deutschen Reich zu beanspruchendes Herrschaftsgebiet. Und er bereitete in vorauseilendem Gehorsam sogar das Münchner Abkommen von 1938 vor: »Daß Mähren und Böhmen auch deutschstämmige Lande sind, weiß jeder, der nicht gerade von der einseitigen tschechischen Hypnose befallen ist.«
Jüttner, der mit der Familie Anheißer anscheinend gut bekannt war, muss auch dieses Machwerk gekannt haben – war es doch bereits 1935 (Inv.-Nr. RM 1935/544) für die Bibliothek des »Hauses der Rheinischen Heimat« inventarisiert worden.
Ohne an der künstlerischen Qualität der Blätter Kritik üben zu wollen, wundern wir Heutigen uns doch, warum ein 1958 explizit als Kölnisches Stadtmuseum neu gegründetes Institut nicht nur Hunderte Blätter Kölner Ansichten und zur Vervollständigung bestehender Sammlungen rheinische Topographien erwarb, sondern warum darunter Blätter aus ganz Europa waren. Hatte man den Gedanken an ein großes überregionales Museum noch nicht aufgegeben? Hatte es beim gegen den Willen der Museumsspitze erfolgten Ankauf von Sanders »Köln wie es war« Kompensationsversprechen gegeben? Bereits 1955 waren Hunderte Zeichnungen von Walter Wegener zu einem völlig überhöhten Preis angekauft wurden, Anfang der 1960er folgten die 67.000 DM teuren Anheißer-Blätter. Ein schaler Nachgeschmack bleibt.
Roland Anheißer: Brügge – Blick von der Ezelsbrug auf die »Schwaneninsel«, Brügge, 1912, bez. u. li.: R. Anheisser 17.7.1912 / BRÜGGE. Am Groene Reij. Bleistiftzeichnung, H: 44 cm, B: 29,7 cm. Inv.-Nr. KSM 1962/13,527 (G 12985). Ankauf von Luise-Anita von Hase, Jugenheim a. d. Bergstraße, 1962 – 32.000 DM für 588 Blatt (2. Rate; 1961 für 1.129 Blatt waren es 35.000 DM als 1. Rate). Foto: rba_d033424
Autor: Rita Wagner M. A.