Künstler im Krieg
In einer der Materialschlachten des Ersten Weltkrieges fiel am 22. September 1915 der erst fünfundzwanzigjährige Kölner Künstler Michael Brunthaler. Er wurde u. a. von Josef Haubrich gefördert und war zeitweise Schüler von Max Liebermann.
Im Kölnischen Stadtmuseum befinden sich sechs Ölgemälde und drei Zeichnungen. Hier hat Brunthaler einen seiner drei Brüder mit Kohle gezeichnet. Mit schief sitzender Militärmütze und weit aufgerissenen Augen verrät dieses Porträt den Einfluss des Spätimpressionisten Liebermann. Leben und Kunst Brunthalers zeigen auch, wie die Kriegsbegeisterung selbst progressive Künstler der Avantgarde ergriffen hatte.
Michael Brunthaler wurde am 30. Juli 1890 in Köln geboren, lebte mit seiner Familie im Belgischen Viertel und der Südstadt, besuchte das Gymnasium Kreuzgasse, studierte an den Akademien Düsseldorf und München und starb am 30. Oktober 1915 bei Tahure an der Front in Frankreich im Alter von nur 25 Jahren. Es ging ihm wie vielen jungen Männern, die radikal mit dem Alten abschließen und die Moderne einläuten wollten und sich vom Krieg eine Katharsis versprachen.
Brunthaler wurde in Köln unter anderem von Josef Haubrich gefördert, der mit Carl Niessen nach Brunthalers Tod eine Gedächtnisausstellung zusammentrug. Mit Josef Haubrich machte er 1907 gemeinsam das Abitur. Sein Werk ist impressionistisch geprägt, was sicherlich auch am Einfluss Max Liebermanns (1847–1935) lag, bei dem Brunthaler zeitweise studierte.
Im Kölnischen Stadtmuseum befinden sich neben sechs Ölgemälden auch drei Zeichnungen, die 1994 aus dem Nachlass der Schwester Hedwich Tilch (geb. Brunthaler) ans Haus gekommen sind. Weitere Werke Brunthalers bewahren das Museum Ludwig und die Theaterwissenschaftliche Sammlung der Universität zu Köln.
Aus heutiger Sicht erscheint es paradox, dass die Kriegsbegeisterung auch progressive Künstler und Denker ergriff, doch gerade die Verbindung von Avantgarde und Aggression kennzeichnete die ersten beiden Jahrzehnte des 20. Jahrhunderts. 1909 hieß es im »Futuristischen Manifest« von Filippo Tommaso Marinetti: »Wir wollen den Krieg verherrlichen – diese einzige Hygiene der Welt.« Im »Manifest der 93«, das im September 1914 erschien, bekannten sich deutsche Wissenschaftler und Künstler zu der Aussage: »Ohne den deutschen Militarismus wäre die deutsche Kultur längst vom Erdboden getilgt.« Auch Brunthaler wurde vom Hurra-Patriotismus ergriffen und meldete sich – wie viele weitere deutsche avantgardistische Künstler und Autoren zuvor – am 1. Februar 1915 freiwillig zum Militärdienst.
Die Kohlezeichnung zeigt einen von Brunthalers drei Brüdern. Der junge Mann blickt den Betrachter mit aufgerissenen Augen an. Vermutlich trägt er die Mütze einer Militäruniform, die allerdings etwas schief auf dem Kopf sitzt, als ob er das Tragen der Uniform nicht gewohnt wäre. Womöglich meldete sich auch Brunthalers Bruder freiwillig zum Kriegsdienst, und er wurde kurze Zeit später porträtiert.
Brunthaler fiel in der Champagne während der großen Herbstschlacht von 1915 durch das Sprengstück einer Granate. Die Alliierten begannen am 22. September eine Großoffensive, um die russische Front zu entlasten. Mit 27 Divisionen und 1.650 Geschützen versuchten sie vergeblich, die deutschen Linien zu durchbrechen. Die bedrohten Frontabschnitte wurden von der Obersten Heeresleitung verstärkt, sodass die deutschen Linien nur um bis zu drei Kilometer zurückgedrängt wurden, bis der Angriff gestoppt werden konnte. Das Ergebnis: 5,4 Millionen verschossene Granaten, 250.000 tote alliierte und 150.000 tote deutsche Soldaten. Der Krieg, von dem so viele in ihrer Faszination geglaubt hatten, er würde wenige Wochen dauern, entwickelte sich nun endgültig zum Grabenkrieg mit Materialschlachten ohne messbare militärische Erfolge. Er forderte neben Michael Brunthalers noch fast neun Millionen weitere Menschenleben auf allen Seiten der Fronten.
Michael Brunthaler: Bildnis eines Bruders, Kohle auf Papier; H: 42 cm, B: 36 cm, Inv.-Nr. KSM 1994/342. Nachlass Hedwig Tilch geb. Brunthaler, Köln, 1994. Foto: rba_d033415
Autor: Sascha Pries M.A.