Der verlorene Schatz

Dieses Wappenstammbuch muss man sich wie eine prachtvolle Handschrift vorstellen, die mit zahlreichen Wappendarstellungen, Allegorien, Porträts bedeutender Zeitgenossen und Herrscher illustriert ist. »Man muss es sich vorstellen«, denn das Original ist nicht mehr da… Es wurde aus der Graphischen Sammlung des Museums entwendet.


Man sieht den Einband eines Wappenstammbuchs. Zu sehen ist das Kölner Wappen.
Wappenstammbuch des Kurfürsten und Erzbischofs von Köln, Ernst Herzog von Bayern, 1581–1597. Foto: Erzbischöfliche Diözesan- und Dombibliothek Köln

Die Provenienzforschung, die in Deutschland im Auftrag des Deutschen Städtetags an den Museen seit etwa 1999 betrieben wird, um besonders den Erwerb und Verbleib von Kunst und Kulturgut in der Zeit des Nationalsozialismus zu erforschen, darf man sich als undankbares Beschäftigungsfeld vorstellen.

Ausgestattet mit Angaben, die nicht ausreichend zur Identifikation eines gesuchten Objekts dienen (»ein Aachener Schrank«), Akten und Inventaren, die weder Maße oder Künstler korrekt vermerken, muss man mühsam über Hinweise wie Galerieaufkleber, Transportquittungen oder erhaltene Korrespondenz rekonstruieren, welchen Weg das Objekt genommen hat, und dabei möglichst lückenlos die Stationen seiner Herkunft oder seines Verbleibs festhalten.

Im vorliegenden Fall lautete der Inventarbucheintrag wie folgt: »Wappenstammbuch des Kurfürsten Ernst v. Köln aus dem Hause Wittelsbach. 1584«. Ernst von Bayern (1554–1612) war Fürstbischof von Freising, Hildesheim, Lüttich und Münster und von 1583 bis 1612 Erzbischof von Köln. Das Stammbuch einer in ihrer Zeit so bedeutenden Persönlichkeit hat man sich opulent illustriert, mit Wappendarstellungen, Allegorien, Darstellungen von anderen bedeutenden Persönlichkeiten seines Umfelds und Herrscherporträts vorzustellen. Ein solches Stück ist ein seltenes Unikat und für die Forschung wichtig, weil es Einblick erlaubt in das Beziehungsgeflecht des Stammbuchführers.

Das einzige Problem mit dem gedachten Prachtalbum war, dass es, 1941 von der Händlerin Elfriede Langeloh für das Rheinische Museum erworben, in den letzten drei Jahrzehnten in den Sammlungen nicht mehr gesichtet worden war und es auch keine Vorstellung von seinem Verschwinden gab. Möglicherweise war es in der Kriegszeit verloren oder zerstört worden, denkbar, dass es als ausgelagerter Bestand nach Kriegsende an einen falschen Adressaten ging und dort als Bestand mit unbekannter Herkunft inventarisiert wurde. Denkbar wäre auch, dass ein kleines, unscheinbares Queroktavformat mit 30 Blättern in flexiblem Pergamenteinband unerkannt in einem Regal oder einer Schublade landete.

Nicht so in unserem Fall, wo eine komplette Fotodokumentation und ein detaillierter Beschreibungstext als Manuskript in der Erzbischöflichen Diözesan- und Dombibliothek Köln existiert, die im Zusammenhang mit seiner Präsentation auf der Internationalen Kunstausstellung »Aus der Schatzkammer des Kunsthandels – 50 Jahre C. I. N. O. A.« (Conféderation Internationale des Négociants en Œuvres d‘Art) 1986 in der Kölner Messe entstanden.

Das Stammbuch war dem Kölner Auktionshaus Venator & Hanstein aus Privatbesitz angeboten worden und im Katalog zur Auktion 58 im September 1988 mit aufwändiger Beschreibung und Abbildung von 15 Blättern auf einer ausklappbaren Farbtafel präsentiert worden. Die Provenienz las sich wie folgt: »Das Wappenbuch stammt aus dem Vorbesitz von Clemens August, dem letzten Kölner Kurfürsten aus dem Haus Wittelsbach. Dafür spricht zum einen, daß das Buch aus altem Bonner Privatbesitz kommt; derartige Objekte im Bonner Raum erklären sich aus der dortigen Auflösung u. teilw. Zwangsversteigerung des Besitzes von Clemens August.« Mit einer Taxe von 150.000 DM angeboten, fand das außergewöhnliche Stück, das dem Triumph von Herzog Ernst und seinen Parteigängern über den abtrünnigen Kölner Erzbischof Gebhard Truchsess zu Waldburg im Kölnischen oder Truchsessischen Krieg (1583–1588) huldigt, der den Einbruch der Reformation verhinderte und den Katholizismus in Rheinland und Westfalen für weitere 200 Jahre sicherte, keinen Abnehmer und ging wieder an den Einlieferer zurück. Der gab es in London zur Auktion, wo es bei Sotheby‘s am 5. Dezember 1991 als Lot 482 mit einer Taxe von 16.000 Pfund angeboten und mit 29.120 Pfund einem unbekannten Bieter zugeschlagen wurde. Damit ist es für Köln und seine Sammlungen vorerst verloren.


Wappenstammbuch des Kurfürsten und Erzbischofs von Köln, Ernst Herzog von Bayern, 1581– 1597, flexibler Pergamenteinband, Papier, Deckmalerei, 30 Bl., 24 x 34 cm, Inv.-Nr. RM 1941/62. Ankauf Elfriede Langeloh, 1941, fur 2820 RM. Foto: Erzbischöfliche Diözesan- und Dombibliothek Köln

Autor: Beatrix Alexander