Aufklärung im Museum
Die katholische Kirche tobte, als diese Enzyklopädie – 17 Textbände und elf Tafelbände – Mitte des 18. Jahrhunderts erschien. Ein Gemeinschaftswerk von rund 150 Autoren. Neu war der freie Geist der Encyklopädisten, von Rousseau, Montesquieu, Voltaire und anderen Autoren.
Geplant war eigentlich alles ganz anders. Der Verleger Le Breton wollte 1745 ein englisches Lexikon in Französisch herausgeben, in vier Bänden und einem Tafelband. Hierfür gewann er Denis Diderot. Doch der umtriebige Schriftsteller und sein Partner, der Naturwissenschaftler Jean Baptiste le Rond d‘Alembert, hatten mehr im Sinn: das erste Werk mit dem gesamten Wissensstand einer Epoche. Am Ende wurden es 17 Textbände mit 71.818 Beiträgen, elf Tafelbände mit 2.885 Kupferstichen und zwei Registerbände.
Diese Dimension war neu, neu die Systematik, die alle Bereiche des menschlichen Lebens umfasste (Wissenschaften, Künste und Handwerk) und mit Querverweisen arbeitete, neu auch der Charakter eines Gemeinschaftswerks von rund 150 Autoren (darunter nur eine Frau). Neu war zudem der freie Geist der Enzyklopädisten, von Rousseau, Montesquieu, Voltaire und anderen Autoren.
Die katholische Kirche tobte. Nach 102 Tagen im Gefängnis wurde Diderot vorsichtiger und formulierte radikale Ideen in eher nebensächlichen Artikeln – wo die Zensur sie nicht vermutete (und wo man sie erst recht begierig las). Mit Erscheinen des siebten Textbandes 1759 wurde die Encyclopédie vorläufig gestoppt und von Papst Clemens XIII. verdammt. In dieser Zwangspause begann man mit den Tafelbänden und schrieb heimlich in Paris an den restlichen Textbänden weiter, die 1765 alle auf einen Schlag erschienen – im fingierten Druckort Neufchâtel.
Der Kampf gegen die Aufklärung war ohnehin vergeblich. Die Enzyklopädisten hatten mächtige Freundinnen und Freunde in der Elite des Ancien Régime: die Mätresse des Königs, Madame de Pompadour, Zarin Katharina, Preußens König Friedrich II. und sogar den Pariser Chefzensor Malesherbes.
Ob in Artikeln über handwerkliche Produktionsprozesse oder über Philosophie und Kunst: Die Enzyklopädisten erklärten die Welt mit Vernunft und kämpften gegen Intoleranz, Aberglauben und Vorurteile. Sie forderten nicht explizit die Einführung der Demokratie und fanden in der Oberschicht ihre größten Anhänger. Dennoch war die 1780 vollendete Encyclopédie – mit den Worten Robespierres – das »Einleitungskapitel der Revolution«.
In Europa riss man sich darum, die neuesten Artikel an Höfen und in Salons zu diskutieren – besonders in Frankreich, Italien und Deutschland. Der Kreis kämpferischer Anhänger der Aufklärung war im streng katholischen Köln eher überschaubar – sie fanden sich bei naturwissenschaftlichen Experimenten, in Lesegesellschaften und Freimaurerlogen.
Im 18. Jahrhundert war die Encyclopédie ein großes politisches und organisatorisches Wagnis – und auch ein riesiger finanzieller Erfolg. Dabei kostete das Gesamtwerk 874 Livres, das 20-fache Jahresgehalt eines gelernten Arbeiters. Dagegen erscheint die Summe von 4.600 DM geradezu günstig, die die Rudolf Siedersleben‘sche Otto Wolff-Stiftung (die heutige Otto Wolff Stiftung) aufbrachte, um die komplette Originalausgabe für das Kölnische Stadtmuseum am 27. Februar 1961 beim Kölner Antiquariat Günther Leisten zu erwerben. Das Museum verfügt damit über einen Meilenstein der Buch- und Kupferstichkunst, ein unvergleichliches Kompendium des 18. Jahrhunderts, ein »geistiges Handgepäck für das dritte Jahrtausend« (Enzensberger) und ein wertvolles Quellenwerk zur Handwerks- und Alltagsgeschichte. Und, ganz nebenbei, über eine materielle Kostbarkeit: Zuletzt wurde eine Originalausgabe antiquarisch angeboten, in der allerdings zwei Bände und zahlreiche Kupferstiche fehlen – für 60.000 Euro.
Encyclopédie ou Dictionnaire raisonné des sciences, des arts et des métiers, hg. von Denis Diderot und Jean Baptiste le Rond d’Alembert, Originale Folioausgabe, Buchdruck, Kupferstiche, gebunden, 35 Bände: Textbände I-XVII, Paris, Neufchâtel und Amsterdam 1751–1765 / Tafelbände I-XII, Paris und Amsterdam 1762–1772 / Ergänzungsbände I-IV, Amsterdam 1776–1777 / Registerbände I-II, Paris und Amsterdam 1780. Inv.-Nr. KSM 1961/29–46 = Bibliothek des Kölnischen Stadtmuseums D 250. Foto: rba_d033576 (1. Band)
Autor: Dr. Mario Kramp