Wiedervereinigung 1813

Nach der kampflosen Übergabe des Stadtschlüssels an die Franzosen 1794 war für Köln die Zeit der Freien Reichsstadt beendet. Seit dem Frieden von Lunéville von 1801 gehörte Köln auch völkerrechtlich zu Frankreich. Die Kölner mussten nun nicht nur Französisch lernen, sondern sich auch an zweisprachige Straßenschilder gewöhnen. Mit der Übersetzung der Straßennamen wurde Professor Ferdinand Franz Wallraf beauftragt. Der aufklärerische Wallraf nutzte die Gelegenheit zu einer Bereinigung vormals vulgärer oder ihm lächerlich erscheinender Straßennamen.


Zu sehen ist ein altes Kölner Straßenverzeichnis. Dieses ist sehr eng beschrieben.
Französisches Straßenverzeichnis für Köln, Köln, Januar 1813. Foto: rba_d033413

Vielleicht war es ein Fehler, ausgerechnet Ferdinand Franz Wallraf ein französisches Straßenverzeichnis für Köln anlegen zu lassen. Die Behörden ahnten nicht, wie weit der emsige Gelehrte gehen würde. So viele Um- und Neubenennungen hatten sie gar nicht gefordert.

Anders als die Deutschen nach 1871 bei der Germanisierung des Elsass gingen die Franzosen im Rheinland, das 1812 schon 18 Jahre unter ihrer Herrschaft stand, eher oberflächlich vor. Ein »Rue« vor dem alten Straßennamen genügte. Der Unterpräfekt des Rur-Departements Klespé und der Kölner Maire von Wittgenstein entzogen dem nörgelnden Wallraf das Manuskript und übergaben es der Druckerei Thiriart zur Revision.

Sicher: Die Neuordnung der Adressen im Gassengewirr der 45.000-Einwohner-Stadt war nötig. Schon seit 1760 hatte die Verwaltung erfolglos versucht, Häuser nummerieren zu lassen. Die Straßennamen orientierten sich mehr oder weniger an alten Flurbezeichnungen, an der Nähe zu Kirchen oder an Berufen der hier einst Ansässigen. Ein Wunder, dass Briefe aus Rom und Paris »an Prof. Wallraf / Cöln« ohne jede weitere Information überhaupt ankamen.

Das Verzeichnis von 1813 folgt der neuen Aufteilung Kölns in »Sectionen« nach Pariser Vorbild. Links steht jeweils der neue französische Straßenname in lateinischen Lettern, daneben in Fraktur als Orientierung die deutsche Bezeichnung – und rechts der alte, nun abgeschaffte Name.

Denn Wallraf nutzte die Gelegenheit für umfassende Umbenennungen. Die Verbundenheit Kölns mit der romanischen Kultur und mit Frankreich sollte betont werden. Also hob er die römischen Wurzeln hervor: aus dem Malzbüchel wurde Place Agrippine/Agrippinaplatz (erste Spalte Mitte), aus dem Gülichplatz der Place Jules César/Juliusplatz (dritte Spalte Mitte). Den Anschluss des Rheinlands an Frankreich sah er als »Wiedervereinigung« – schließlich seien auch die Kölner Franken. So hieß der Domhof nun Place Charlemagne/ Kaiser-Karls-Platz (dritte Spalte oben) und mit der Umbenennung des Elogiusplatzes in Place Clovis/ Clovis-Platz (erste Spalte Mitte) erhielt Köln seinen ersten Chlodwigplatz – schließlich sei Köln durch Chlodwigs Sieg bei Zülpich 496 »die Wiege der fränkischen Monarchie«.

Wallraf schaffte auch alte Straßennamen ab, die »vulgär, lächerlich oder weder in Französisch noch in gutes Deutsch übersetzbar« seien. Wichtiger als historische Wahrheit war ihm die historische Würde Kölns: »Kostgaß, Kotzgaß, Trankgaß sind Pöbelerfindungen! Als wenn man dort gegessen oder hier getrunken und dort gekotzt hätte!« So wurde aus der Kotzgasse, wo die Kotzmenger im Armenviertel minderwertiges Fleisch feilboten, ein Areal für Feinschmecker: die Kostgasse bzw. Rue des Traiteurs (rechte Spalte oben).

Ironie der Geschichte: Als Köln 1813 französische Straßennamen erhielt, war das Ende der Franzosenzeit besiegelt. 1816 ließen die Preußen manches rückgängig machen: Der Napoleonsplatz/ Place Napoléon (linke Spalte unteres Drittel) hieß nun wieder Augustinerplatz, auch Malzbüchel, Neumarkt, Alter Markt und Gülichplatz erhielten ihre alten Namen zurück.

Doch vieles blieb, etwa die Rue de l‘Arsenal, die bis heute Zeughausstraße heißt – am Kölnischen Stadtmuseum ist die steinerne zweisprachige Straßenbezeichnung erhalten, wie auch an Hahnenpforte, Eigelsteintor und der Krebsgasse. Das Straßenverzeichnis von 1813 ist ein Paradigmenwechsel. Seitdem benannte man Straßen nach historischen Themen und Gestalten. Wallrafs Methode setzte sich durch: Die Stadt als Geschichtsbuch.

Das Straßenverzeichnis stammt aus dem Besitz von Gustav Michels, einem Kölner Großbürger und Kaufmann. Er war in Aufsichtsräten mehrerer Bankhäuser vertreten und seit 1891 Präsident der Kölner Handelskammer. Der Nationalliberale war Stadtverordneter, gehörte dem ProvinzialLandtag und dem preußischen Herrenhaus an.

Schwerpunkte seiner Arbeit waren Verkehr und Stadtentwicklung Kölns – vielleicht rührt daher sein Interesse an diesem wertvollen Dokument der Franzosenzeit, das er 1902 dem Historischen Museum schenkte. Sein eigenes Porträt von der Malerin Sophie Koner wurde übrigens 1964 dem Museum geschenkt.


Französisches Straßenverzeichnis für Köln: »Tableau des noms de rues, places, quais, boulevards et remparts de la ville de Cologne, suivant l’arrêté de Monsieur le Maire en date du 16 décembre 1812, approuvé par l’Autorité départementale le 18 janvier 1813 / Namen=Verzeichnis der Straßen, Plätze, Werfte, Graben und Wälle der Stadt Köln, gemäß dem Beschluß des Herrn Maire vom 16. Dezember 1812, genehmigt von der Departemental=Autorität den 18. Januar 1813«. Druckerei Th. F. Thiriart, Köln, Januar 1813, Druck auf Papier, H: 59,4 cm, B: 45,5 cm,  Inv.-Nr. HM 1902/240. Foto: rba_d033413

Autor: Dr. Mario Kramp