Missbrauchte Geschichte
Diese Ratsgestühlwange mit Intarsienarbeiten ist ein Lehrbeispiel für den ideologischen Umgang mit Geschichte in der Zeit des Nationalsozialismus. Hergestellt hat sie der Steinmetz, Bildhauer und Maler Jacob Pabst (1879 bis 1950), der vor dem Machtwechsel 1933 noch für den progressiven Deutschen Werkbund arbeitete, danach aber Aufträge für die Nationalsozialisten übernahm. 1938, im Jahr der Annexion Österreichs, wurde diese Ratswange in das originale Gestühl der Renaissance im Kölner Rathaus eingefügt.
Die Ratsgestühlwange ist ein Lehrbeispiel für den ideologischen und bornierten Umgang mit Geschichte in der Zeit des Nationalsozialismus in Köln. In den Jahren 1878/79 hatte man bei einer Restaurierung des Renaissancegestühls im politisch durchaus korrekten Rückgriff auf die Thematik der Innenausstattung des Senatssaales, die dem Status Kölns als Freie Reichsstadt und der Kaisertreue gewidmet war, noch eine Wange mit dem »Kölschen Boor« eingepasst. Bei der erneuten Instandsetzung 60 Jahre später frönte man dem braunen Zeitgeist: »Im 5. Jahr Adolf Hitlers«, so beginnt der auf die Annexion Österreichs 1938 anspielende Satz, der Hitlers Machtergreifung 1933 und den Einmarsch in Österreich mit der »Erneuerung« des altehrwürdigen Saales verknüpfte. Die dazugehörigen Daten wurden gleich mitgeliefert – in den Zwickeln über dem Bogenfeld. Das Intarsienfeld einer Landkarte zeigt darunter das um Österreich erweiterte »Großdeutschland«. Signethaft verkürzt dargestellte Denkmäler symbolisieren die größten Städte, nicht zu übersehen der Kölner Dom sowie rechts neben Breslau das Kölner Stadtwappen. Bezeichnend für den Zeitgeist sind das Kanonenboot auf der Ostsee und der über allem schwebende Adler, der das unvermeidliche Hakenkreuz in seinen Fängen hält.
Den »ehrenvollen« Auftrag für die Verunstaltung des Renaissancegestühls erhielt der Künstler Joseph Jacob Pabst (1879–1950), der sich in Köln seit 1909 in zahlreichen Ausstellungen einen Namen gemacht hatte. Pabst, der noch in der Weimarer Republik zum Gruppenvorsitzenden im Deutschen Werkbund avancierte, hatte mit dem Machtwechsel 1933 und der neuen Kunstpolitik offenbar keine Probleme. Er empfahl sich den Nationalsozialisten 1937 mit einer Beteiligung an der Ausstellung des »Hilfswerks für die deutsche bildende Kunst in der NS-Volkswohlfahrt« im Kölnischen Kunstverein. Der ausgebildete Steinmetz, Bildhauer und Maler hatte schon 1929 bei der Innenraumgestaltung des Café Wien am Hohenzollernring und der CharlottBar in der Brückenstraße mit Holzintarsien gearbeitet. Als Folgeauftrag nach der Gestühlwange wurde ihm die Ausführung einer verschollenen Intarsienarbeit für den Speisesaal des städtischen Motorschiffes »Hansestadt Köln« erteilt, das Thema: »Karte des Großdeutschen Reiches«.
Bei der Wiederaufstellung des Ratsgestühls in den 1970er Jahren wurde die Wange begreiflicherweise nicht mehr berücksichtigt und an das Kölnische Stadtmuseum abgegeben. Dort wanderte die historische »Altlast« erst einmal ins Depot, denn die museale Aufarbeitung des Nationalsozialismus stand damals noch nicht auf der Tagesordnung, das Museum präsentierte noch die Inszenierung des Jahres 1958, welche das 20. Jahrhundert bewusst ausklammerte. Die jüngsten Objekte einer Zimmerinszenierung waren Jugendstilmöbel! Erst mit der Neueinrichtung des Hauses 1984 stellte sich das Museum als eines der ersten historischen Museen im Rheinland in einer eigenen Abteilung dem Thema »›Drittes Reich‹ und Nachkriegszeit 1933–1948«. Die heute stark restaurierungsbedürftige Wange wurde folgerichtig als markantes Relikt nationalsozialistischer Ideologie in die Dauerausstellung integriert.
Ratsgestühlwange, Köln, Joseph Jacob Pabst, 1938. Inschriften: »30. Januar 1933« (Zwickelfeld o. l.), »12. März 1938« (Zwickelfeld o. r.), »Im 5. Jahr Adolf Hitlers« (Bogenfeld u. l.) »in der Zeit der Vereinigung aller Deutschen zu einem Großdeutschland wurde dieser Saal erneuert« (Bogenfeld u. r.) Eiche, div. Intarsienhölzer, H: 120 cm, B: 103 cm, Inv.-Nr. KSM 1975/340. Foto: rba_KSM1975_340
Autor: Dr. Ulrich Bock