Eine Dame mit Courage fürs Büfett

Rosa Annacker, Schwester des 1914 in jungen Jahren verstorbenen Kölner Bildhauers Joseph Moest, schenkte dem Museum 1951 einige Skulpturen aus der Hand ihres Bruders, darunter die aus dem Jahre 1906 stammende »Lady Godiva«. Nicht nur im Stil, sondern auch im Sujet ist diese Skulptur für ihre Entstehungszeit typisch: Die Dame, empört über die Steuerpolitik ihres in Coventry herrschenden Gatten, übte sich in stillem Protest, indem sie nackt durch die Stadt ritt. Dieses Motiv erfreute sich damals häufigerer bildhafter Darstellungen.


Joseph Moest: »Lady Godiva«, 
1906. Foto: rba_d033562

Grundlage der Darstellung ist eine Legende, die zwar schon im 13. Jahrhundert nachgewiesen ist, aber durchaus zeitlos aktuell sein kann. Lady Godiva oder Godgifu ist hingegen historisch belegt. Sie war verheiratet mit Leofric, dem Earl von Merica, und starb um 1086. Nachweisbar ist, dass die wohlhabenden Eheleute bedeutende klösterliche Einrichtungen stifteten.

Die nachfolgende Geschichte hingegen mutet wie ein Vorgriff auf protestbeladene Happenings der frühen 1970er Jahre an: Empört über die ausufernde Steuerpolitik des Gatten, unter der die Bewohner Coventrys stöhnten, schwang sich Godiva auf ein Pferd, nackt, nur die langen wallenden Haare bedeckten ihre Blöße. So ritt sie durch die Stadt. Der Ehemann, erstaunt ob solch unorthodoxen Verhaltens, aber durchaus voller Bewunderung für ihren Mut zur Tat, unternahm etwas, was auch heute noch der stille Traum eines jeden steuergeschröpften Bürgers ist – er setzte die Steuern aus – bis auf eine, nämlich die für Pferde.

Die gemütvolle Geschichte wurde im 19. Jahrhundert populär und bildhaft umgesetzt. Eine der bekanntesten Darstellungen des Ritts von Lady Godiva war das Ölgemälde des praeraffaelitischen Malers John Collier (1850–1934) von 1898, das, seinerzeit in zahlreichen Kunstzeitschriften publiziert, dem Bildhauer als Vorbild gedient haben könnte.

Joseph Moest war ein Sohn des Kölner Bildhauers und Restaurators Richard Moest. Nach der Grundausbildung bei seinem Vater und der Tätigkeit beim Kölner Dombildhauer Peter Fuchs konnte auch er virtuos im »gothischen Stil« arbeiten. Das Studium der Bildhauerei bei Syrius Eberle von 1897 bis 1902 erweiterte seine Erfahrung um den Bereich Monumentalplastik. In der Münchener Kunstszene bekam er erste Kontakte zur modernen, vom aufkeimenden Jugendstil beeinflussten Bildhauerei. Spätestens im Herbst 1903 war er wieder in Köln und übernahm am 7. November des Jahres das Atelier des Vaters. Noch im gleichen Jahr lieferte er im brav historisierenden Stil die Figuren für den neuen Hochaltar von St. Cäcilien. Andererseits beteiligte er sich im September an den beiden Wettbewerben des städtischen Hochbauamtes für Hochkreuze für den Friedhof Melaten und den Südfriedhof. Er lieferte Entwürfe in flott skizzierten und weich ausmodellierten Jugendstilformen, wie man am 1905 ausgeführten Beispiel für den Südfriedhof nachvollziehen kann.

Im Jahr darauf war er Gründungsmitglied der moderat modernen Künstlergruppe »Der Stil« und wurde dort bekannt mit dem Bildhauer Georg Grasegger, mit dem ihn eine lebenslange Freundschaft verbinden sollte. Spätestens mit seiner Beteiligung an der »Deutschen Kunstausstellung 1906« in der Kölner Flora zeigte sich Moest vollständig dem neuen Stil zugewandt. In dieser Zeit entstand »Lady Godiva«, von der dann noch mehrere Exemplare in Bronze gegossen und auch verkauft wurden. Ein literarisches Denkmal setzte der Skulptur »Lady Godiva« und ihrem Schöpfer, dem hageren, schon frühzeitig kränkelnden, eigenbrötlerischen und verklärt wirkenden Bildhauer, der seinerzeit skandalumwitterte Dichter David Herbert Lawrence mit dem Künstler »Loerke« in seiner Novelle »Women in Love«, die 1920 in New York erschien. Moest und Lawrence hatten sich 1913 in Gargano am Gardasee kennengelernt, wo Moest seine aufkeimende Tuberkulose auskurieren wollte, die ihn aber am 25. Mai 1914 im zarten Alter von 41 Jahren dahinraffte. Auf dem Friedhof Melaten fand er seine letzte Ruhe, beerdigt beim Grabmal, das er selbst kurz vor seinem Tode vollenden konnte.

Seine Schwester Rosa Annacker schenkte der Stadt Köln 1951 unter anderem diese Skulptur, wodurch sie in den Besitz des Historischen Museums gelangte.


Joseph Moest: »Lady Godiva«, 1906, Buchsbaumholz; Skulptur: H: 35 cm, B: 21,5 cm, T: 8,5 cm, Inv.-Nr. HM 1951/89. Schenkung von Rosa Annacker geb. Moest, Rath-Heumar, 1951. Foto: rba_d033562

Autor: Dr. Johannes Ralf Beines