Des Reisenden Freud und Leid

In den 1970er-Jahren fanden sich in Berlin per Zufall in Privatbesitz die Vorentwürfe für die Reliefs »Abschied« und »Heimkehr«, die sich von 1893 bis 1909 an der Perronhalle des Kölner Hauptbahnhofs befanden. Die Arbeiten stammen vom dem seinerzeit hochgeschätzten Berliner Bildhauer und Grafiker Otto Geyer.


Otto Geyer: Abschied, kurz vor 1893, KSM 1980/309 a. Foto: rba_d033578

Das Relief »Abschied« zeigt eine sitzende Frauengestalt, die einem Jungen zum Abschied die Stirn küsst. Die geschnürten Sandalen und der Wanderstab des Jungen deuten seine bevorstehende Reise an. An seiner Seite springt ein Hund freudig erregt hoch. Ein zum Himmel aufsteigender Vogel, ein seine Knospen entfaltender Rosenstock am Boden und der im Wind dramatisch wehende Schleier der Frauengestalt zeigen die frühe Stunde in ihrer Frische an als Ausgangspunkt für einen ereignisreichen Tagesablauf, für den die Bahn mit Sicherheit sorgen wird.

Das Relief »Heimkehr« führt eine Frauengestalt vor, die den ermatteten Jungen, ihn liebevoll umarmend, nach seiner anstrengenden Reise in Empfang nimmt. Die Frau trägt auf dem Kopf einen mit Sternen geschmückten Reif. Die nächtliche Stunde wird durch eine Mondsichel am Himmel und eine den Schlaf symbolisierende Mohnpflanze angedeutet. Der Junge ist also dank der Fürsorge der Bahn (heute ließe sich ergänzen: trotz Verspätungen, ausgefallener Zugverbindungen und verpasster Anschlüsse) in den sicheren Hafen des heimatlichen Bodens, ohne Schaden zu nehmen, zurückgekehrt.

Entwurfskünstler und Ausführender der Reliefs war der Bildhauer und Grafiker Otto (Karl Ludwig) Geyer (1843–1914), der sich als Schüler der Berliner Akademie und des damals renommierten Berliner Bildhauers Hermann Schievelbein schnell zu einem der beliebtesten Porträtisten in Berlin entwickelte. Nebenbei besaß er enormen Unterhaltungswert für die Berliner Gesellschaft, da er privat einen lockeren Lebenswandel führte – er hatte ein Verhältnis mit einer Brauereibesitzersgattin und mit dieser drei nicht eheliche Töchter. Festzuhalten bleibt, dass dies keine negativen Auswirkungen auf seine Auftragslage hatte. Einer der Höhepunkte der künstlerischen Karriere Geyers war 1888 die Bekanntschaft mit dem jungen Kaiser Wilhelm II. und dessen Ehefrau. Geyer durfte beide porträtieren und in Bronze gegossen vermarkten.

Wahrscheinlich war es der Fürsprache »höherer« und »allerhöchster« Kreise in Berlin zu verdanken, dass Geyer den Auftrag für die beiden Reliefs für den Kölner Bahnhof erhielt, der damals als »Einfallstor« des westlichen Auslands ins Deutsche Reich in seiner Bedeutung erkannt und entsprechend repräsentativ ausgebaut wurde. Möglicherweise war auch der Architekt der Perronhalle, Johann Eduard von Jacobsthal, der zu den gleichen Personenkreisen wie Geyer in Berlin gute Kontakte hatte, einer der Fürsprecher.

Im unmittelbaren zeitlichen Vorlauf zur Auftragsvergabe entstanden die hier gezeigten Reliefs als Vorentwürfe, üblicherweise in kleinerem Format als die endgültig ausgeführten Stücke. Diese waren 1893 vollendet, wurden von Mai bis September 1893 auf der »Großen Berliner Kunstausstellung« gezeigt und wohl unmittelbar danach nach Köln geschafft und dann über dem Haupteingang jeweils links und rechts von der Uhr am pavillonartigen »Inselbau« (Wartesäle) inmitten der Bahnsteighalle installiert.

Doch lange währte die Freude an den schönen symbolbeladenen Reliefs nicht. Schon 1909 stand das Gebäude der Organisation des Bahnbetriebes im Wege. Es entschwand durch Abbruch und die Reliefs mit ihm. Die Vorentwürfe tauchten in Berliner Privatbesitz Anfang der 1970er Jahre auf und wurden über Josefine Hildebrand, die 1975 über den Bildhauer promoviert hatte, mit Rechnung vom 27. Mai 1980 über 7.500 DM an das Kölnische Stadtmuseum vermittelt.


Otto Geyer: »Abschied« und »Heimkehr«, kurz vor 1893, Alabastergips, in der Masse gelblich getönt; je 64 x 64 cm, Inv.-Nr. KSM 1980/309 a+b. Ankauf aus Privatbesitz, 1980, für 7.500 DM. Foto: rba_d033578 (Abschied)

Autor: Dr. Johannes Ralf Beines