Engel und Cherubine
Das Kölner Goldschmiedeatelier Hermeling besaß vor allem unter der Führung von Gabriel Hermeling, aber auch unter seinem Nachfolger, seinem Schwiegersohn Joseph Kleefisch, nicht nur in Köln einen hervorragenden Ruf. 1977 bekam das Kölnische Stadtmuseum von einem ungenannt gebliebenen Stifter zwei qualitätsvoll ausgeführte Tabernakeltüren aus vergoldetem Silber mit Emails und Bergkristall aus der Zeit um 1905 geschenkt.
Die Tabernakeltür, für den Hochaltar einer nicht näher bekannten katholischen Kirche gearbeitet, stellt im Zentrum zwei adorierende, Weihrauchfässer schwingende Engel dar. Sie huldigen den im Tabernakel aufbewahrten Hostien, die nach katholischer Lehre in der Wandlung der heiligen Messe Leib Christi geworden sind. Die Engel stehen jeweils in einer Dreipassrahmung vor einem Hintergrund mit Teppichmusterung auf floral ornamentierten Sockeln. Die Mitte bildet eine Schlagleiste mit zwei aufgebrachten Cherubinen.
Grundsätzlich lehnt sich die Formgebung der Tür vor allem in der Ornamentierung an gotisierende Vorbilder an, die Engel jedoch sind in ihren Gesichtszügen und in ihren Gewandungen geglättet und verraten somit den Einfluss des Jugendstils. Deshalb dürfte das Objekt um die Zeit um 1905 zu datieren sein.
Möglicher Entwurfskünstler, zumindest aber Hersteller war Joseph Kleefisch (1861–1931), der 1888 in das reichsweit für seine hohe handwerkliche Qualität berühmte Kölner Goldschmiedeatelier des Gabriel Hermeling (1833–1904) als Teilhaber eintrat und nach schwerer Erkrankung des Altmeisters 1899 das Atelier vollständig übernahm, nachdem er zuvor eine Tochter Hermelings geheiratet hatte. Wohl nicht zuletzt aus geschäftlichen Gründen behielt Kleefisch den Namen »Gabriel Hermeling« bei und signierte seine Arbeiten entsprechend. Vor allem im Umfeld der Übernahme der Werkstatt lassen sich die Werke Kleefischs von denen Hermelings kaum unterscheiden, zumal bislang noch nicht bekannt ist, welchen Eigenanteil die Handschriften weiterer Mitarbeiter ausmachten. Hinzu kommt der Umstand, dass er stilistisch fast völlig im Schatten seines Schwiegervaters blieb, also weitgehend historisierend arbeitete und »moderne« Einflüsse nur fließend einbrachte. Er entsprach damit dem konservativen Geschmack seiner (katholisch-)kirchlichen Auftraggeber in der Zeit bis zum Ende des Ersten Weltkrieges.
Zu seinem Freundeskreis der frühen Zeit gehörte unter anderem Alexander Schnütgen, der es Kleefisch ermöglichte, ab 1901 auf den jährlichen Kunstausstellungen des Kölner Diözesanmuseums auszustellen. 1903 und 1904 konnte er mit zwei Einzelausstellungen im Kölner Kunstgewerbemuseum brillieren. Im gleichen Jahr bekam er den ehrenvollen Auftrag zur Fertigung des Tafelaufsatzes »Die Industrie« für das Kölner Ratssilber. International bekannt wurde er 1904 durch seine Teilnahme an der Weltausstellung in St. Louis, wo er mit einem »Grand Prix« ausgezeichnet wurde. Er begann nun verstärkt mit der Herstellung profaner Metallarbeiten, die er schwerpunktmäßig erstmals auf der 7. Jahresausstellung der »Vereinigung Kölner Künstler« im Kunstgewerbemuseum präsentierte.
Spätestens mit seiner Wahl zum stellvertretenden Vorsitzenden in der 1908 gegründeten »MeisterGerhard-Gilde« kam er in Kontakt mit avantgardistisch ausgerichteten Kölner Künstlern, wie zum Beispiel Georg Grasegger. Mit den beiden Fruchtschalen für das Kölner Ratssilber, die Ernst Riegel, seit dem 11. März des Jahres Leiter der Fachklasse für Silber- und Emailarbeiten sowie Schmuck an der Kunstgewerbe- und Handwerkerschule, entwarf und die Kleefisch ausführte, war er mit Bravour in der Moderne angekommen. Wirtschaftlich bedingt, erhielt er nach dem Ersten Weltkrieg nur wenige Aufträge. Herausragend waren der Hochaltaraufsatz und zwei Standleuchter für St. Anna in Neuehrenfeld, die allerdings am 30. Oktober 1944 zerstört wurden.
Die Tabernakeltür wurde dem Stadtmuseum 1978 von einem ungenannten Stifter geschenkt.
Doppelflügelige Tabernakeltür aus der Werkstatt Hermeling, Entwurf (?) und Ausführung: Joseph Kleefisch, um 1905, Stempel: HERMELING, Silber, vergoldet, mit Email, Bergkristall; H: 61cm, B: 51 cm, Inv.-Nr. KSM 1978/267. Foto: rba_d033585_01
Autor: Dr. Johannes Ralf Beines