Hommage ans ländliche Köln

Mit dem Bauernzimmer aus der Zeit um 1900 gelangte ein geheimnisumwobenes Möbelensemble ins Museum, von dem weder die genaue Herkunft (»Umkreis Köln«) noch der genaue Auftraggeber, der sich hinter den Stifterinitialen »CHR« verbirgt, bekannt ist. Mit der stilistischen Anlehnung an den Kölner Möbelbau der Spätrenaissance um 1600 sind diese Möbel eindrucksvolle Dokumente kölnischen Selbstbewusstseins.


Man sieht einen alten Überbauschrank. Er hat vier Türen, welche kunstvoll verziert sind. Der Schrank ist komplett aus Holz.
»Meister Goldschmidt« und Holzschnitzer »CHR«: Überbauschrank aus dem »Bauernzimmer«, Umkreis Köln, um 1900, KSM 1977/62. Foto: rba_d033545

Neben den traditionell engen wirtschaftlichen Verbindungen, die von Köln aus zu fast ganz Europa, besonders den Niederlanden bestanden, war es auch der Austausch von Künstlern, Handwerkern und Kunstwerken, der die hiesige Szene des Kunsthandwerks in seinen unterschiedlichen Sparten mit neueren Stiltendenzen vertraut machte. Die sogenannte Renaissance seit dem beginnenden 16. Jahrhundert konnte ihre Verbreitung erheblich durch das neue Medium der Druckkunst beschleunigen, hier sehr wichtig: die Vorlagewerke. Von besonderer Bedeutung war noch das Vorhandensein einer wohlhabenden, dabei humanistisch gebildeten stadtkölnischen Oberschicht weltlichen und geistlichen Standes. Auch der Möbelbau profitierte davon. Hier verbanden sich Modernität und technische Virtuosität. Ein erster ausgeprägter Höhepunkt war mit den fein intarsierten und reich verzierten Möbeln und Ausstattungsteilen des um 1590 aus Mainz zugewanderten Melchior von Reidt (Rheydt) erreicht. Eine besondere Schrankform, die sich nach 1500 unter niederländischem Einfluss entwickelt hatte, fand hier höchste künstlerische Vollendung: der Überbauschrank, von dem der »Susannenschrank« (um 1610) von Melchior von Reidt hier im Museum ein beredtes Zeugnis liefert.

Sind hier noch Intarsien mit Schnitzarbeiten kombiniert, so sind die Exemplare ab etwa 1630 ausschließlich reich geschnitzt. Ein solcher Schrank wurde um 1842 von dem Maler und Museumskonservator Matthias Joseph De Noël für seine Sammlung erworben und ging nach dessen Tod am 18. November 1849 als Erbe in die Städtische Kunstsammlung und 1888 in das Kunstgewerbemuseum über. Da nach dem damaligen Selbstverständnis des Museums die gesammelten Stücke unter anderem auch als Ideengeber für das Handwerk zu fungieren hatten, wundert es nicht, dass sehr bald neue Möbel in mehr oder weniger enger Anlehnung an die historischen Vorbilder auf den Markt kamen.

Ein Beispiel für einen sehr kreativ-freizügigen Umgang mit dem Vorbild ist unser Überbauschrank, der eigentlich keiner ist, sondern eher ein Büfett, denn es fehlt das früher übliche, auf das Maß des Unterbaus vorgezogene abschließende Kranzgesims, das von zwei Figuren, die auf dem Unterbau stehen, gestützt wird. Im Dekorationssystem lehnt sich unser Stück eng an die Vorbilder an, in der Ikonographie rückt es wiederum davon deutlich ab. Nicht mehr feinsinnige religiöse oder allegorische Themen werden vorgeführt, sondern in den unteren Türfüllungen eine geistig eher schlichte Hommage an die Landwirtschaft, während im »Überbau« in den oberen Türfüllungen mit dem »Kölschen Boor« auf der linken und dem heraldischen Landsknecht mit dekorativ entrollter Fahne und dem Spruch »Alaaf Kölle« der Köln-Bezug hergestellt wird.

Der Erwähnung wert ist noch, dass sich hinter dem Kranzgesims des Oberschranks ein aufklappbares Geheimfach befindet, bestens geeignet unter anderem zur Unterbringung größerer Bargeldbeträge. Der untere Teil hat doppelt gesicherte Türen für das Tafelsilber. Der »Überbauschrank« stammt aus einem Möbelensemble, zu dem außerdem noch eine Anrichte, ein Ausziehtisch und acht Stühle gehören.

Die Möbel wurden Ende 1976 dem Museum zum Kauf angeboten und 1977 erstanden. Über die Auftraggeber ließ sich bislang nichts Näheres ermitteln; sie sind wohl im familiären Umfeld der Verkäufer, Erich und Hertha Squarr aus Aachen-Soers, zu vermuten, denn von ihnen stammen die Angaben, dass für das Ensemble einst 5.000 Goldmark bezahlt worden seien und dass der Hersteller ein »Meister Goldschmidt« gewesen sei. Da weder in den Adressbüchern der Stadt Aachen noch der Stadt Köln dieser Zeit ein Schreiner oder Möbelhändler unter diesem Namen zu finden ist, muss vorerst als Herstellungsort »Umkreis Köln« bestehen bleiben. Die Signatur »CHR« findet sich auf dem unteren linken Türfüllungsrelief; auch hier ist nicht bekannt, wer sich dahinter verbirgt.


Überbauschrank aus dem »Bauernzimmer«, »Meister Goldschmidt« (Korpus) und Holzschnitzer »CHR« (Signatur). Herstellungsort: Umkreis Köln, um 1900. Eiche, Eichenfurnier und Fichte, Beschläge Messing, H: 155,5 cm, B: 167,5 cm, T: 63,5 cm, Inv.-Nr. KSM 1977/62. Ankauf von Hertha und Erich Squarr aus Aachen-Soers für 12.500 DM. Foto: rba_d033545

Autor: Dr. Johannes Ralf Beines