Fürs Dinieren mit Contenance

Eine Stiftung spülte 1960 die Speisezimmermöbel aus dem Besitz der ehedem betuchten Kölner Unternehmerfamilie Meurer nach einer langen Odyssee in die Bestände des Stadtmuseums. Der Entwurf für diese um 1905 entstandenen Möbel stammt von dem damals in Köln renommierten Architekten Camillo Friedrich.


Zu sehen ist eine Kredenz mit Stuhl. Sie ist ausHolz gefertigt.
Kredenz aus einem Speisezimmer, Entwurf: Camillo Friedrich, um 1905. Foto: rba_d033546

Das hier gezeigte Möbel ist ein Wanderer zwischen den Zeiten. In der kompakten Gestaltung lässt es noch das Vorbild gründerzeitlicher Repräsentationsmöbel durchschimmern, in der formalen Detaillierung verwebt sich hier allerdings Jugendstil mit Neoklassizismus. Der sparsame figürliche Schmuck besteht aus zwei Löwenköpfen, die das obere Ende von zwei rahmenden Pilastern bilden; ansonsten ist der Schmuck ornamental, die Tektonik des Möbels betonend und flach gehalten. Mittig, an prägnanter Stelle, sind am Büfett und an der Kredenz die Initialen des Hausherrn und Auftraggebers »O W M« angebracht.

Hinter den Buchstaben verbirgt sich der Name »Otto Wilhelm Meurer« (geb. 1841 in Köln); seine Ehefrau Adele geb. Bunge (1852–1921) wird, wie damals meist üblich, nicht genannt. Er entstammte einer Familie, die bereits in den späten 1830er-Jahren einen Handel mit Eisenwaren betrieb, und zwar von Anfang an am Mühlenbach 54/56 in Köln. 1855 wurde dort ein Neubau errichtet. Nach dem Tod des Geschäftsgründers Wilhelm am 22. April 1866 übernahm seine Witwe Clementine geb. Schmits (1814–1871) den Betrieb und nahm Otto Wilhelm als gleichberechtigten Kompagnon ins Geschäft. Nach dem Tod der Mutter im Jahr 1871 war Otto Wilhelm Alleinbesitzer. Es ging jetzt nach dem für Preußen siegreichen Ende des Deutsch-Französischen Krieges wirtschaftlich steil aufwärts. Mit dem Einstieg in die 1875 gegründete »Gewerkschaft Carl-Otto« in Niederzündorf gelang Meurer der Sprung in die höchsten Sphären der Kölner Hochfinanz, denn die Firma erwies sich als fleißig sprudelnder Quell des Reichtums. Der Betrieb besaß das Monopol zur Herstellung von Gießerei-Roheisen, das bis 1875 gegen Devisen aus Schottland importiert werden musste. Doch nicht nur dieses Produkt versprach reichlichen Gewinn, sondern auch der anfallende Abfall, die Hochofenschlacke, wurde auf wundersame Weise zu gewinnbringenden, weil praktische Materialien umgewandelt. Die Schlacke war einerseits unverzichtbares Grundmaterial für die florierende Zementindustrie, andererseits wurden daraus Bausteine im Ziegelsteinformat (Reichsformat) hergestellt, die wegen ihres geringen Gewichtes idealer Baustoff für die in Mode gekommenen Erkeranlagen an üppig dekorierten bürgerlichen Wohnbauten waren. Nie zuvor konnten Erker so kostengünstig gebaut werden wie mit diesen neuen Steinen.

1890, nun war auch der Bruder Hippolyt (1846–1894) beteiligt, wies man mit Stolz darauf hin, dass die Meurers »Repräsentanten der Gewerkschaft Carl-Otto« seien. Nach dem Tod des Bruders war Otto Wilhelm endlich Alleineigentümer des Unternehmens Meurer. Um 1905 gab er das Zimmer für sein Haus am Mühlenbach in Auftrag. 1918 war er zum Filzengraben umgezogen, nunmehr Geschäftsführer der »Chem. Fabrik Sürth GmbH«. Am 1. September 1921 starb er und wurde auf dem Friedhof Melaten beerdigt.

Der Entwurfskünstler, der Architekt Camillo Friedrich (1869–1953), ist seit 1904 in Köln nachweisbar; hier war er zunächst Prokurist im Kölner Architekturbüro der Brüder Ziesel und um 1905 gleichberechtigter Partner. Sein Architekturstil orientierte sich in seinen frühen Werken an Münchner Vorbildern: in der Großform Jugendstil mit entfernten Anklängen an die Renaissance und/oder den Klassizismus in den architektonischen Details. Dem entspricht die Stilstufe der Meurer-Möbel. Schon ein paar Jahre später zeigt sich die Architektur (wohl unter dem Einfluss der »Heimatschutzbewegung«) deutlich geglättet und ornamental reduziert. Während er zu Beginn (zusammen mit Ziesel) bevorzugt im Villenbau tätig war, beschäftigte sich Friedrich 1914 erstmals mit dem Bau von Arbeiterwohnungen (sein Beitrag zur Werkbund-Ausstellung in Deutz) und nach dem Krieg vereinzelt mit Siedlungsbau.

Die Speisezimmermöbel, die während des Zweiten Weltkriegs ausgelagert (lt. Klebezettel auf der Rückseite nach Hönningen/Ahr) und somit der Zerstörung entgangen waren, gelangten 1960 durch Emmy Baronin von Fölkersamb geb. Meurer (1908–1982) als Schenkung in den Besitz des Museums.


Kredenz und Stuhl aus einem Speisezimmer, Tanne/Fichte, Eiche und Eichenfurnier; Bezug des Stuhls: Leder. Entwurf: Camillo Friedrich, um 1905. Auftraggeber: Adele und Otto Wilhelm Meurer, Köln. Kredenz: H: 156,5 cm; B: 129,5 cm; T: 61 cm. Inv.-Nr. KSM 1960/43 b + d. Schenkung von Emmy Baronin von Fölkersamb, Köln, 1960. Foto: rba_d033546 (Kredenz)

Autor: Dr. Johannes Ralf Beines