Erbsensuppe ohne Speck
Dieser Stuhl mit stadtkölnischem Wappen in der Rückenlehne stammt aus dem Obdachlosenasyl in der Silvanstraße (Vringsveedel). Ab 1910 und vor allem während der Weltwirtschaftskrise ab 1930 war das Obdachlosenasyl Anlaufstelle für viele Kölner. 1932 waren etwa 31 Prozent der Bevölkerung auf öffentliche Hilfe angewiesen.
Warum und wie kam dieser Holzstuhl 1931 aus dem Obdachlosenasyl in der Kölner Silvanstraße in unser Museum?
Sicherlich stammte er nicht aus dem Besitz eines Obdachlosen, sondern gehörte zum Mobiliar der Einrichtung. Dafür spricht das in den oberen Teil der Rückenlehne eingelassene stadtkölnische Wappen. Grund der Überweisung in städtischen Museumsbesitz war wohl eher die Beschädigung durch das Fehlen der oberen Verzierung. Der Stuhl kam vermutlich als »Spende« an das Obdachlosenheim und gehörte früher vielleicht einmal zu einem Esszimmertischensemble.
Das Haus in der Silvanstraße 12 im Kölner »Vringsveedel« stand 1909 noch leer. Doch kann der Einzug für »das Asyl für männl. Obdachlosen G.m.b.H.« dort mit 1910 festgemacht werden. Auskunft darüber geben die Kölner Adressbücher aus den beiden Jahren.
Hier, in der direkten Umgebung von St. Severin und der Firma Stollwerck, war die Struktur des sozialen Raums klar geprägt von der Dominanz der Arbeiter. Bei der Stadtverordnetenwahl 1929 stimmten innerhalb des Bereichs um die Severinskirche 60,8 Prozent für die Arbeiterparteien SPD und KPD. Nicht zuletzt auch wegen der Hafennähe konzentrierte sich hier soziale Infrastruktur zur Versorgung von ärmeren Bevölkerungsschichten wie Herbergen, Erholungs- und Speisehäuser. Dazu kamen Einrichtungen zur Krankenpflege, zum Beispiel das Krankenhaus der Augustinerinnen »Severins-Klösterche« in der Jakobstraße. Bis heute gibt es in der Annostraße das noch von 1910 stammende Obdachlosenheim, das auch 1931 im Kölner Adressbuch mit dem Eintrag »Obdachlosen=Asyl Köln e.V., Annostraße 7 und Silvanstraße 8–12« firmierte.
1931 war auch in Köln die Weltwirtschaftskrise längst angekommen. Gerade jetzt waren die Asyle gefordert. Typisch kölscher Parameter für die schlechte Zeit war das Ausfallen des Rosenmontagszuges 1931 und 1932. Die Stadt gab keinen Zuschuss mehr zum Zug und konnte ab dem 13. Juli 1931 ihren Zahlungsverpflichtungen nicht mehr nachkommen. Am 3. August wurden die städtischen Bauvorhaben eingestellt. Ab September versuchte die »Kölner Nothilfe«, durch das Sammeln von finanziellen Mitteln vor allem Essen an Bedürftige auszugeben und jugendliche Arbeitslose fortzubilden. Doch 1931 war der Höhepunkt der Wirtschaftskrise noch nicht erreicht. Im Juli 1932 war die Zahl der Arbeitssuchenden in Köln auf über 109.000 gestiegen. 1933 stieg die Zahl der vom Arbeits- und Wohlfahrtsamt Unterstützten auf über 230.000. Etwa 31 Prozent der Bevölkerung war auf öffentliche Hilfe angewiesen.
Unser Stuhl hat diese schlimme Zeit überstanden. Glücklicherweise, denn das Obdachlosenasyl in der Silvanstraße warb 1931 mit der Anzeige »Verkauf von Brennholz«.
Stuhl, Köln, Ende des 19. Jahrhunderts, Eiche, H: 100 cm, B: 47,5 cm, T: 42,5 cm, Inv.-Nr. HM 1931/381. Uberweisung aus dem Obdachlosenasyl Koln, Silvanstrase. Foto: rba_d033554
Autor: Dr. Michael Euler-Schmidt