Prima leben und sparen!
Hermann Götting war in Köln bekannt als Sammler und Retter von Alltagskultur. Nach seinem Tod wurde seine Sammlung zerstreut. Erhalten blieb ein Mantel aus Plastiktüten des Discounters Plus, den der Designer Manfred Fenner für ihn kreierte.
Doch in allererster Linie war Götting Sammler von Alltagsgegenständen. Alles, was ihm irgendwie zwischen die Finger kam und ihm aufbewahrungswürdig erschien, behielt er: Leuchtreklamen, Vasen, Möbel und ganze Ladeneinrichtungen befanden sich in seiner Sammlung. Götting wurde zum Bewahrer (nicht nur) der kölnischen Alltagskultur. Die Räume seiner Wohnung in der Richard-Wagner-Straße 4 waren im Stil der 1950er, 1960er, im Art decó und Biedermeier eingerichtet.
Obwohl er chronisch pleite war, vergrößerte sich seine Sammlung ständig. Daran änderte auch der Verkauf einiger Stücke in den 1970er-Jahren in größter Geldnot nichts. Im Dezember 1985 schlug eine von Göttings größten Stunden: Auf 800 Quadratmetern präsentierte der Kölnische Kunstverein zahlreiche Stücke seiner Sammlung. Die Ausstellung war ein großer Erfolg und lockte in sechs Wochen 35.000 Besucher an.
Seine Bekanntheit bescherte ihm noch mehr Schenkungen und Angebote, bis die Kellerräume so voll waren, dass die Mitarbeiter der Stadtwerke die Zähler zum Ablesen nicht mehr erreichten. Mit etwas Glück schaffte Götting es, dass ihm seitens der Stadt zwei Lager zur Verfügung gestellt wurden: ein Pfeiler der Zoobrücke und der Bunker in der Elsaßstraße.
»Ein Museum Götting wird es in Köln nicht geben«, drohte ein einflussreicher Kölner, als Götting einen Verkauf der Sammlung an das Haus der Geschichte Bonn ausschlug. Als Götting 2004 unerwartet starb, waren die Lager bis zum Bersten gefüllt. Ein Verzeichnis der Objekte existierte nicht. Während in der Stadt Köln diskutiert wurde, wie man mit der Sammlung verfahren solle, sicherte sich das Museum für Angewandte Kunst in Gera über 1.000 hochkarätige Stücke aus Göttings Wohnung. Einige Objekte erwarb auch das Haus der Geschichte, andere – wie zum Beispiel viele historische Kölner Leuchtreklamen – kamen ins Kölnische Stadtmuseum, das auch weitere Teile des Nachlasses übernahm. Für die große und diffuse Sammlung – Zehntausende Objekte, 20 komplette Ladeneinrichtungen, Ausstattungen von 40 Handwerksbetrieben, 160 Leuchtreklamen, Hunderte Vasen, Stühle, Schränke usw. – ist in den Depots aber kein Platz.
Das Lager in der Elsaßstraße ist inzwischen geräumt, und auch das Lager in der Zoobrücke soll mittelfristig aufgelöst werden. Den Mantel aus Plustüten, der für Götting so ein besonderes Stück gewesen war, schenkte der Sammlungsverwalter Fritz Breckheimer dem Stadtmuseum 2007. Das Thema des Mantels – Recycling – ist heute ein alter Hut und wurde von der omnipräsenten Nachhaltigkeit in den Schatten gestellt. Die Nutzung von Wertstoffen in der Modeindustrie bahnt sich derzeit unter dem Namen »Re-Design« ihren Weg. Sportartikelhersteller produzieren inzwischen Bekleidung aus wiederverwerteten PET-Flaschen. Und auch die Supermarktkette, deren Tüten für Fenners Mantel zweckentfremdet wurden, wurde von der Dynamik der Geschichte erfasst: Just zu dem Zeitpunkt, als der Mantel ins Stadtmuseum kam, wurde die Übernahme der Plus Warenhandelsgesellschaft durch Tengelmann bekannt, die das Ende des Discounters einleitete. Die ehemaligen Plus-Filialen heißen heute »Netto«. Es ist dennoch befremdlich, wie gut der Plus-Slogan aus den 1990er Jahren zu Göttings Werdegang passt: »Prima leben und sparen!«
Manfred Fenner: Mantel aus Plastiktüten des Lebensmitteldiscounters Plus mit zugehöriger Krawatte, Deutschland, 1990er-Jahre. Kunststoff, Mantel RL: 135 cm, RB: 52 cm. Inv.-Nr. KSM 2007/17 a+b. Schenkung von Fritz Breckheimer, Köln, 2007. Foto: rba_d033548
Autor: Sascha Pries M.A.