Kein Pardon!

Bis heute ist die deutsche Kolonialgeschichte im Kölner Stadtplan ablesbar. Im Ehrenfelder »Chinesenviertel« erinnern drei Straßennamen an die „Boxerunruhen« und die unrühmliche Rolle, die die Kolonialmächte dabei spielten.


Man sieht eine Fahne. Diese ist gelb. Darauf zu sehen sind mehrere Blumenornamente sowie ein Adler der mit einem Drachen kämpft.
Fahne »Verein ehem. Chinakrieger u. Ostasiaten, Köln«, Köln, 1914, KSM 1983/207 a. Foto: rba_d029082

Als in Köln 1934 die Deutsche Kolonialausstellung eröffnet wurde, trugen ehemalige Kolonialkrieger in ihren ausrangierten kolonialen Uniformen die Fahne der »Chinakrieger und Ostasiaten« in Köln vorneweg. 50 Jahre später gelangte dieses Dokument des deutschen Kolonialismus, auf dem der preußische Adler den chinesischen Drachen besiegt, als Schenkung von privater Seite dann doch noch ins Museum. Auf der Rückseite findet sich auf schwarzem Grund der Reichsadler mit der Umschrift »Mit Gott für Volk und Reich«.

Die Fahne dokumentiert die Gründung des Vereins ehemaliger Kolonialsoldaten und anderer Kolonialisten in China auf dem Höhepunkt des deutschen Imperialismus 1902. Allerdings sollte die Fahnenweihe erst 1914 erfolgen, auf der Delegiertentagung der Schutz- und Kolonialtruppen von Rheinland und Westfalen in Köln vom 1. bis 3. August, also genau zum Beginn des Weltkriegs. Die Tagung scheint abgesagt worden zu sein. Die deutsche Kolonialherrschaft in China wurde zudem gleich zu Kriegsbeginn mit der Besetzung Kiautschous durch japanische Truppen beendet.

Seit 1840 war China durch militärische Aggression und Bedrohung sowie politischen Druck der europäischen Mächte und der USA gezwungen worden, Teile seiner Souveränität abzugeben. Der chinesische Staat blieb als Institution erhalten, China galt als »Halbkolonie«. Das Land blutete finanziell aus, nicht zuletzt infolge des Opiumhandels. Dies führte zu einer wachsenden Verelendung breiter Bevölkerungsschichten. Hinzu kamen intensive Missionierungsbestrebungen ausländischer Missionsgesellschaften im Inneren des Landes. Die Missionare – oft vermutlich die einzigen Europäer vor Ort – erschienen der Landbevölkerung als Verkörperung der ausländischen Machtfülle und als Verursacher ihrer Not. Ausländerfeindlichkeit machte sich unter der bäuerlichen Bevölkerung breit; in Nordchina bildeten sich Gesellschaften, die als »Boxer« bezeichnet wurden. Ab dem Frühjahr 1899 begannen die gegen Ausländer und chinesische Christen gerichteten »Boxerunruhen«. Die ausländischen Gesandtschaften fühlten sich spätestens seit Anfang Juni 1900 durch die Boxer bedroht und baten ihre Regierungen um militärische Unterstützung. Im Pekinger Gesandtschaftsviertel spitzte sich die Situation zu. Am 17. Juni 1900 griffen die vor Reede liegenden Marinetruppen ausländischer Mächte die Taku-Forts (heute: Dagu-Forts) an, um sie nach blutigen Kämpfen gegen die dort stationierten chinesischen Truppen schließlich zu besetzen.

Zu den Angreifern gehörte das deutsche Kanonenboot »Iltis« unter Führung seines Kapitäns Wilhelm Lans. Die Taku-Forts an der Mündung des Beihe dienten der Verteidigung des Flusses, der den Zugang zum Vertragshafen Tianjin (Tientsin) ermöglichte und damit den Land- und Seeweg auch nach Peking öffnete. Auf die Ermordung des japanischen Botschaftssekretärs folgte die des deutschen Gesandten Clemens von Ketteler am 20. Juni 1900. Am folgenden Tag erklärte China den ausländischen Mächten offiziell den Krieg. Die sich anschließenden Kämpfe um das Gesandtschaftsviertel sind zum eigentlichen Symbol des »Boxerkrieges« geworden.

Zum Schutz der Gesandtschaften und letztendlich zur Aufrechterhaltung und Ausweitung ihrer Privilegien in China beschlossen die in China vertretenen ausländischen Mächte die Entsendung eines Internationalen Expeditionskorps. Am 27. Juli 1900 hielt Kaiser Wilhelm II. bei der Verabschiedung der nach China abreisenden deutschen Truppen in Bremerhaven seine berüchtigte »Hunnenrede«: »Pardon wird nicht gegeben! Gefangene nicht gemacht! (…) Wie vor tausend Jahren die Hunnen unter ihrem König Etzel sich einen Namen gemacht, der sie noch jetzt in Überlieferung und Märchen gewaltig erscheinen läßt, so möge der Name Deutscher in China auf tausend Jahre durch euch in einer Weise bestätigt werden, daß es niemals wieder ein Chinese wagt, einen Deutschen scheel anzusehen!« So verwundert es nicht, dass die internationalen und auch die deutschen Streitkräfte in China plünderten, zerstörten, vergewaltigten und mordeten. Tausende Zivilisten verloren ihr Leben. Bis heute erinnern im Ehrenfelder »Chinesenviertel« drei Straßennamen – Iltisstraße, Lansstraße, Takuplatz – an diese unrühmliche Epoche deutscher Weltgeschichte.


Fahne »Verein ehem. Chinakrieger u. Ostasiaten, Köln«, Köln, 1914, Stickerei auf Seide, Fahnenblatt 97 x 98 cm, Inv.-Nr. KSM 1983/207 a. Foto: rba_d029082

Autor: Rita Wagner M. A.