Wer hat die Kokosnuss geklaut?

Dieser durch ungewöhnliche Materialien und reiche Ikonografie exzentrisch anmutende Pokal war schon zur Zeit seiner Anfertigung im 16. Jahrhundert eine Rarität. Exotische Materialien wie Kokosnüsse waren sehr selten und, oft veredelt von Kölner Goldschmieden, Prunkstücke fürstlicher Wunderkammern.


Zu sehen ist ein Kokosnusspokal. Der Fuß und die Spitze sind aus Gold, der Mittelteil ist eine Kokosnuss. Diese ist verziert.
Kokosnusspokal, Köln, um 1570/80. Foto: rba_KSM_1989_255_B

Der Kokosnusspokal war das prominenteste Stück eines seinerzeit sehr spektakulären Museumsdiebstahls: Anfang April 2001 »beehrte« der international überaus erfolgreiche Kunstdieb Stéphane Breitwieser auch das Kölnische Stadtmuseum mit seinem zweifelhaften Besuch. Er brach während der Öffnungszeiten im Obergeschoss die von der Überwachungskamera damals nicht erfasste Vitrine mit den Schaustücken zum Thema »Kölner Silber« auf, entwendete den Pokal nebst weiteren wertvollen Silberschmiedearbeiten und hatte dann noch die Chuzpe, die zurückgelassenen Objekte so geschickt umzugruppieren, dass der Diebstahl erst Tage später auffiel. Im folgenden Jahr wurde Breitwieser in der Schweiz auf frischer Tat ertappt. Während seine Mutter daraufhin die meisten der von ihm gehorteten Schätze zerstörte bzw. im Rhein-Rhône-Kanal versenkte, kehrte der Kokosnusspokal unversehrt nach Köln zurück.

Der begehrte Pokal war schon zur Zeit seiner Anfertigung im 16. Jahrhundert eine kostbare Rarität. Exotische Naturprodukte wie Nautilusmuscheln, Straußeneier und vor allem Kokosnüsse waren noch selten und – von Goldschmieden veredelt – Prunkstücke fürstlicher Wunderkammern. Gerade Kölner Goldschmiede verstanden sich in dieser Zeit auf die Herstellung solcher Pokale.

Der unbekannte Meister bedachte die Kokosnuss mit einem aufwendigen Rahmenwerk, bestehend aus reich profiliertem Fuß mit graviertem Standring, vasenförmigem Griff mit durchbrochen gearbeiteten Voluten und einer Kokosnussfassung mit Spangen aus weiblichen Hermen sowie Manschetten aus stilisierten Akanthusblättern. Den repräsentativen Abschluss bildet ein breiter Deckel, dessen Buckelung sich am Fuß wiederholt, mit einer weiblichen Figur (Kleopatra) als Bekrönung des Deckelknaufs. Die Nuss selbst ist kunstvoll reliefiert und zeigt die Opferung Isaaks sowie die Kreuzigung und Auferstehung Christi.

Es handelt sich um eine typologische Bildfolge, die einen alttestamentlichen Typus, die Opferung Isaaks, als Vorwegnahme (Präfiguration) dem neutestamentlichen Antitypus und Heilsereignis Kreuzigung und Auferstehung zuordnet. Ein solches Schema war in protestantischen Bilderbibeln der Zeit äußerst beliebt. Sie dürften hier wohl vorbildhaft gewirkt haben. Besonders die Holzschnitte eines Virgil Solis, zum Beispiel in der bei David Zephelius, Johann Rasch und Siegmund Feyerabend 1561 erschienenen Frankfurter Lutherbibel, stehen den Abbildungen des Kölner Kokosnusspokals sehr nahe.

Als antikes Motiv typologisch deuten lässt sich auch die Deckelfigur der Kleopatra mit der Schlange. Die letzte Pharaonin galt als Inkarnation der Göttin Isis. Sie trug das Signum der als heilig erachteten Königskobra als Schmuck auf der Stirn. Ihr Tod durch Schlangenbiss wurde als ihr gemäßes Schicksal begriffen und erhob sie zu den unsterblichen Göttern. Dies eröffnete den Interpretationsspielraum, um sie als antiken Typus dem Opfertod und der Auferstehung Christi gegenüberzustellen. Mit solchen anspruchsvollen ikonographischen Bezügen demonstrierten Auftraggeber damals gern ihre humanistische Bildung, und für die nicht minder belesenen Betrachter war die Entschlüsselung ein willkommener Zeitvertreib.


Kokosnusspokal, Köln, um 1570/80. Kölner Beschauzeichen, nicht identifizierte Meistermarke, Hausmarke und die Buchstaben GEV auf dem Schild der Kleopatra. Silber, Fassung vergoldet, Kokosnuss; H: 25,5 cm, Fuß Dm: 7,7 cm, Inv.-Nr. KSM 1989/255. Ehem. Sammlung Pringsheim, München; Leihgabe aus der Sammlung F. W. Ockenfels an das Rheinische Landesmuseum Bonn; 1989 Ankauf von Klaus Edel, Köln, für 225.000 DM mit Mitteln der Kölner Kulturstiftung der Kreissparkasse KölnFoto: rba_KSM_1989_255_B

Autor: Dr. Ulrich Bock