»Mer losse d‘r Dom en Kölle …«
Zwei Jahre nach Kriegsende, ein Jahr vor dem großen Domjubiläum von 1948, erwarb das Historische Museum diese Radierung mit der Ansicht des Kölner Doms von Westen. Während 1947 alles ringsum den Dom noch in Trümmern lag, konnte eine solche Ansicht der stolzen Westfassade, angefertigt um 1930, die letzten Jahre einer harmonischen und intakten Stadtarchitektur wachrufen und emotional berühren.
Zwei Jahre nach Kriegsende war die Radierung »Kölner Dom« von den sieben 1947 in den Besitz des Historischen Museums gelangten Objekten mit 64 Reichsmark bei Weitem der teuerste Zugang. Lapidar vermerkt das Inventarbuch unter der Zugangsnummer 4: »Ankauf H. Tiedemann Berlin Lichterfelde-West«. Wer aber war der Vorbesitzer, und warum verkaufte er 1947 eine solche Radierung mit einer gängigen Domperspektive für diesen Preis?
Mit einiger Wahrscheinlichkeit war der einstige Besitzer unseres Blattes der spätere Molekularbiologe Professor Dr. Heinz Tiedemann aus Berlin. 1923 dort geboren, studierte er seit 1941 in Berlin und Freiburg, promovierte in Medizin und Biochemie, habilitierte 1957 und lehrte seit 1967 an der Freien Universität Berlin. Er führte molekularbiologische Methoden in die Embryologie ein und gilt als einer der Pioniere der Stammzellenforschung. Ein Nachruf auf den 2004 verstorbenen Wissenschaftler charakterisiert ihn als äußerst liebenswürdigen Menschen und als begeisterten Besucher von Kunstausstellungen.
Wir spekulieren also, dass der junge Heinz Tiedemann die Radierung von Bruno Reinhold aus seinem Elternhaus hatte oder sie während seiner Studienjahre erwerben konnte. Vielleicht waren er oder seine Eltern mit dem Maler und Graphiker Reinhold sogar direkt bekannt. Über diesen sind nur wenige biographische Angaben zu finden: Geboren 1891 in Berlin, machte er sich bald einen Namen mit Radierungen bedeutender Kirchen- und Profanbauten im Westen (Straßburg, Köln) sowie im Osten (Berlin, Prag, Danzig). Nach 1945 lebte er im Ostteil Berlins, malte auch sozialistische Themen wie »FDJ baut ein Stadion« und starb 1973 als Bürger der DDR. Seine frühen Blätter signierte er meistens mit vollem Namen, datiert hat er sie fast nie. Die hochrechteckige Ansicht des Kölner Doms von Westen aus der Straße Burgmauer her- aus mag in den 1920er oder in den frühen 1930er Jahren entstanden sein. Spätestens seit der Domvollendung 1880 ist dieser Blick auf die Westfassade des Doms bei Künstlern beliebt. Der Standort befindet sich auf der linken Straßenseite, nur wenige Meter entfernt von einem auf den Bürgersteig hinausragenden halbrunden Haus, das einen römischen Stadtmauerturm aufgreift.
Sein Zeitgenosse Luigi Kasimir hat um 1930 für seine Farbradierung mit dem »Dom von Westen« eine etwas größere Entfernung auf der Burgmauer gewählt. Mit dezenter Farbigkeit stellt Kasimir die Häuser der Straßenzeile fast gleichberechtigt vor den dunkelgrauen Zweiturmriesen, der nahezu impressionistisch und doch architektonisch pointiert in das zartnebelige Morgenlicht zurücktritt. Reinhold hat den Dom dagegen in volles Tageslicht getaucht und ihn zum Hauptakteur gemacht. Unübersehbar sind die Anklänge an die Fotografie, wie ein Vergleich zu einem um 1936 entstandenen Foto von August Sander belegt. Trotz der eher konventionellen Perspektive ohne atmosphärische Akzentuierung ist die Domarchitektur interessant geschildert, und die Licht-Schatten-Wirkung der Häuserzeilen erzielt malerische Effekte.
Als Köln in Trümmern lag und auch der Dom stärker beschädigt war als vordergründig erkennbar, konnte jede Ansicht des zwei Jahrzehnte zuvor noch intakten architektonischen Gesamtgefüges vor dem Dom nicht nur emotional berühren, sondern auch dokumentarisches Interesse finden. Zudem stand bei Ankauf der Radierung bereits das Domjubiläum von 1948 im Raum. Dies war vielleicht der Anlass für den kunstsinnigen Verkäufer, die Radierung zurück an den Ort zu bringen, den sie zeigt.
Bruno Reinhold: Kölner Dom, um 1930, signiert: »Bruno Reinhold«. Radierung, Blattmaße: H: 49,5 cm, B: 33,8 cm;,Zeichnung: H: 31 cm, B: 21 cm, Inv.-Nr. HM 1947/4. Ankauf 1947 von Heinz Tiedemann, Berlin, für 64 RM. Foto: rba_d033409
Autor: Dr. Bettina Mosler