Lange Samstag en d‘r City

Sie alle versorgten das Köln der Wirtschaftswunderjahre mit Notwendigem und Unnötigem im Überfluss: Karstadt, Woolworth, die Kaufhalle. Der Fotograf Joachim Fessler begibt sich 1973 in das samstägliche Getümmel der innerstädtischen Fußgängerzonen und Kaufhäuser und fertigt mit seinen Fotos der Kölner im Konsumrausch ein authentisches Zeitdokument der 1970er-Jahre an.


Das Foto zeigt eine Mitarbeiterin einer Kaufhalle aus dem Jahr 1973.
Joachim Fessler: Köln, City – Kaufhalle, 1973. Foto: rba_d033418

Wenn „Pap un Mam (..) mem Titti“ Kurs auf die Innenstadt nehmen, dann stehen die Zeichen auf Kaufrausch, Eis und Currywoosch. Zumindest im Bläck-Fööss-Klassiker von 1977. Ein paar Jahre zuvor suchte auch Joachim Fessler die Nähe zum Getümmel. Ohne Einkaufstaschen, dafür ausgerüstet mit seiner Kamera. In der übervollen Kölner City verewigte der Fotograf, was ihm dort vor die Linse kam: Kunden in den Läden und Kaufhäusern, auf Rolltreppen, an Wühltischen, beflissene Kassiererinnen, Straßenverkäufer und Passanten auf Hohe Straße und Schildergasse, aber auch Rentner, »Gammler« und – im Wortlaut des Inventarbuches – »Asoziale« auf dem Wallrafplatz. Seine Fotografien gingen im November 1973 gegen Rechnung in die Bestände des Kölnischen Stadtmuseums über. Und belegen als Zeitdokument: Köln ist eben nicht nur Kirche, Kunst und Kultur. Köln ist – und war es schon immer – Konsum.

Ob Einheimische oder Touristen: Abertausende nutzen ihren freien Tag oder den Aufenthalt in der Rheinmetropole zum ausgedehnten Einkaufsbummel, vorzugsweise im Schatten des Domes. So hat das Areal, in dem Fesslers Aufnahmen entstanden, eine zweitausendjährige Tradition: Die Hohe Straße, nördlich vom Wallrafplatz über eine Länge von 680 Metern bis zur Hohen Pforte im Süden reichend, geht zurück auf ein Teilstück der ehemaligen Römer- und Heerstraße. Im Mittelalter siedelten sich hier reiche Patrizier, Adel und Klerus an, aber auch – und vor allem – Händler und Handwerker. Im Umfeld von Kayzerzinn-Manufaktur, Stollwerck-Haus und dem »Olivandenhof« an der Zeppelinstraße als Heimstatt für den Einzelhandel begann um 1900 die Ära der Mehrabteilungs- Warenhäuser nach französischem Vorbild: 1912 eröffnete der Kaufmann Leonhard Tietz hier Ecke Hohe Straße/An St. Agatha den noch heute existierenden Geschäftsbau, in dem bereits 1925 die ersten Rolltreppen Deutschlands ihren Dienst taten. Von den Nationalsozialisten »arisiert«, firmierte das Unternehmen fortan als Westdeutsche Kaufhof AG, später als Galeria Kaufhof. Ältere Kölner sprechen noch immer vom »Tietz«.

Nach dem Zweiten Weltkrieg glich das Areal einer Trümmerwüste, doch schon bald regte sich der Unternehmergeist: Am Neumarkt entstand eine neue Hertie-Dependance, das ehemalige Kaufhaus Carl Peters an der Breite Straße wurde zu Karstadt. Woolworth und Kaufhalle siedelten sich an. Und sie alle versorgten das Köln der Wirtschaftswunderjahre mit Notwendigem und Unnötigem im Überfluss. Im Zuge des modernen, am Menschen orientierten Städtebaus eröffnete Oberbürgermeister Theo Burauen am 29. September 1967 die zur Fußgängerzone umgestaltete Hohe Straße, seinen Worten nach »eine der schönsten und größten verkehrsfreien Einkaufsstraßen Europas, ja, ich glaube sagen zu können, der Welt«. Zumindest aber eine der ersten der Bundesrepublik.

Bald erstreckte sich der verkehrsberuhigte, aber konsumverschärfte Bereich von hier über Schildergasse, Neumarkt und Mittelstraße bis hin zu den Ringen. Die Rechnung ging auf – allein die Hohe Straße bringt es heute stündlich auf fast 10.000 Passanten und potenzielle Kunden und zählt damit zu den meistfrequentierten und beliebtesten Einkaufsmeilen Deutschlands. 


Joachim Fessler: Köln, City – Kaufhalle, Köln, 1973. 20 S/W-Papierabzüge, je 18 x 24 cm, Inv.-Nr. KSM 1973/426,1–20. Ankauf vom Fotografen Joachim Fessler, (Erftstadt-)Lechenich, für 100 DM. Foto: rba_d033418

Autor: Rüdiger Müller