Gesucht: Der rheinische Schützenkönig!

Dieser seltene Druck von 1480 ist eine Einladung an die Schützenbrüder der Stadt Köln, an einem Schützenwettbewerb des Mainzer Kurfürsten teilzunehmen. Der Kreis unter dem Text entspricht der Größe der Zielscheibe. So konnten die Schützen schon einmal üben – das Preisgeld lag bei 40 Gulden!


Man sieht eine Einladung zum Schießspiel aus dem Jahr 1480.
Einladung zum Schießspiel, 1480. Foto: rba_d033411

Der seltene Druck, von dem nur noch ein weiteres Exemplar bekannt ist, ist eine sogenannte Inkunabel. Diese Wiegendrucke (incunabula, Windeln, Wiege) erschienen seit der Erfindung des Buchdrucks mit beweglichen Lettern um 1450 durch Johannes Gutenberg in Mainz bis zum Jahr 1500. In diesem halben Jahrhundert sind wahrscheinlich etwa 27.000 verschiedene Werke entstanden. Die größten Inkunabelsammlungen Deutschlands besitzen die Bayerische Staatsbibliothek in München und die Württembergische Landesbibliothek in Stuttgart.

Zunächst orientierte man sich an dem gewohnten Erscheinungsbild mittelalterlicher Handschriften. Um den Text als Block in einem einheitlichen Satzspiegel erscheinen zu lassen, benutzte der Drucker gegossene Ligaturen und Abbreviaturen als Buchstaben mit bestimmten Zeichen zur Abkürzung lateinischer grammatischer Formen. In verschiedenen Breiten gegossene Lettern standen zur Verfügung, damit die Zeilenlängen das Bild eines homogenen Textkörpers ergaben. Auf die Handschriftentradition verwies auch die nachträglich von Hand durchgeführte Kolorierung im fertigen Druck – wie hier die Hervorhebung der Majuskeln in roter Farbe. Dies erleichterte das Lesen, da die Großbuchstaben teilweise auch den Beginn eines neuen Satzes anzeigen.

Diese Inkunabel ist ein Brief. Am 26. Mai 1480 wandte sich der Schützenmeister der Armbrustschützen der Stadt Mainz an den Bürgermeister, den Rat und die Schützenbrüder der Stadt Köln und lud sie im Namen des Mainzer Kurfürsten zu einem Schützenwettbewerb nach Mainz ein.

1480 war ein bewegtes Jahr in Europa. Nach der fehlgeschlagenen Belagerung von Rhodos bedrohten die Osmanen nach der Eroberung von Otranto die Adria. Großfürst Iwan III. von Moskau befreite Russland von dem Joch der Goldenen Horde, Eduard IV. sicherte dem Haus Lancaster im Rosenkrieg vorerst die Macht in England, Leonardo da Vinci erfand den Fallschirm – und Hermann IV. von Hessen wurde Erzbischof von Köln. 1480 war das Geburtsjahr illustrer Persönlichkeiten wie Lucrezia Borgia, Ferdinand Magellan, Götz von Berlichingen und Johann Georg Faust.

Wie man sieht, konnte es in Zeiten wie diesen nicht schaden, sich im Armbrustschießen zu üben. Um den rheinischen Schützenkönig zu ermitteln, sollte der Wettbewerb in Mainz am Montag nach St. Bartholomäus, also am 28. August 1480, um acht Uhr vormittags stattfinden. Die Mainzer Schützenbrüder zeigten großen Sportsgeist, indem sie die Größe des Zieles, auf das die Schützen ein Ausscheidungsschießen veranstalten sollten, »ufwendig off dyssem brieffe gezeychent« haben. Der Kreis unterhalb des Textkörpers entsprach also der Größe der Zielscheibe. Somit konnten die Kölner Schützen schon mal üben und wussten, was sie erwartete. Wer bei besagtem Schießen dieses Ziel traf, kam in die Endausscheidung: einer Serie von 32 Schuss auf ein weiteres Ziel.

Das Startgeld betrug einen Gulden in Weißpfennigen, einer gängigen und beliebten rheinischen Währung, die seit der Gründung des Rheinischen Münzvereins ein Jahrhundert zuvor in alltäglichem Gebrauch war. In diesem Brief von 1480 ist der aktuelle Wechselkurs auf 24 Pfennige für den Gulden festgelegt. Aus diesem Antrittsgeld und einer großzügigen Auslobung des Erzbischofs von Mainz in Höhe von 20 Gulden ergab sich das Preisgeld von 40 Gulden für den Schützenkönig bis hinunter zu einem Gulden für den Letzten. Somit zahlten nur diejenigen drauf, welche die Finalrunde verpasst hatten. Beglaubigt wurde das Schreiben vom damaligen Amtmann der Stadt Mainz, Ludwig Isenberg, Graf von Budingen.

Ob man am »Rhoi« oder am »Rhing« nun den besten Armbrustschützen des Jahres hatte, wissen wir heute nicht mehr. Aber neben der Gemeinsamkeit des Währungsverbundes zeigt sich in dieser Einladung doch ein weiteres Element rheinischer Nachbarschaft, die sportlich-spielerische Konkurrenz in ernsten Zeiten. Und dass für eine Korrespondenz auf dieser Ebene die modernste Technologie eingesetzt wurde, lässt den Wandel der Zeiten erahnen, die auf die Erfindung des Buchdruckes mit beweglichen Lettern folgen sollten.

Für den Hinweis auf die Inkunabel im Bestand des Kölnischen Stadtmuseums sei Jael Dörfer gedankt.


Einladung zum Schießspiel, gedruckt von Nicolaus Bechtermünze (gest. nach 1488), Eltville, nach dem 26. Mai 1480. Inkunabeldruck auf Papier, H: 43 cm, B: 29,5 cm, Inv.-Nr. HM 1904/150. Überweisung aus dem Historischen Archiv der Stadt Köln, 1904. Foto: rba_d033411

Autor: Dr. Markus Kirschbaum