Der Trümmermann

Das Werk »Gesang im Feuerofen« von Hermann Claasen dokumentiert die Zerstörung Kölns am Ende des Zweiten Weltkriegs. Der Kölner Fotograf Claasen machte – trotz strikten Fotografierverbots – bis Kriegsende zahlreiche Bilder vom (Über-)Leben in der zuletzt zu 90 Prozent zerstörten Innenstadt. Eine der anrührendsten Aufnahmen ist die »Madonna in den Trümmern«.


Man sieht eine zerstörte Steinstatur nach dem zweiten Weltkrieg.
Hermann Claasen – Gesang im Feuerofen. Überreste einer alten deutschen Stadt,
Düsseldorf 1947. Foto: rba_d033428_06 (Madonna in den Trümmern)

»Ich möch zo Foß noh Kölle jonn«. Heimkehrerfamilien hatten die letzte Zeile der rheinischen »Nationalhymne« an den Bollerwagen mit den letzten Habseligkeiten gekritzelt, denn es ging zurück in die Heimat. Zurück in die Stadt, in der kaum noch ein Stein auf dem anderen stand – bis Kriegsende getroffen von mehr als 1,5 Millionen Fliegerbomben. Auch der in Köln geborene Berufsfotograf Hermann Claasen (1899–1989) stand vor dem Nichts: Sein Atelier und ein Großteil des Archivs wurden beim 1000-Bomber-Angriff am 31. Mai 1942 vernichtet. Aber – er lebte und widmete seine Arbeit fortan der Dokumentation bitterer Realitäten: Mit einer Kleinbildkamera machte er zwischen 1942 bis zum Kriegsende – trotz strengstem Fotografierverbots – Bilder vom Leben im zerstörten Köln. 90 Prozent der Innenstadt waren nach dem letzten und schwersten Bombenangriff dem Erdboden gleichgemacht. Wofür die NS-Propaganda am 6. März 1945 via Reichsradio nur noch einen zynischen Kommentar übrig hatte: »Der Trümmerhaufen Köln wurde dem Feind überlassen.«

Der spätere Landtagsabgeordnete und Pressechef des WDR, Josef Rick, wurde 1947 auf Claasens Fotografien aufmerksam und vermittelte eine Buchveröffentlichung im Düsseldorfer Droste-Verlag. Für den Band »Gesang im Feuerofen« schrieb Rick im Vorwort: »Eine Stadt sank dahin. Was sich in diesen Bildern spiegelt, ist beileibe keine Stadt mehr.« Auch in Konrad Adenauer und Heinrich Brüning fand Claasen prominente Fürsprecher. Der ehemalige Kölner Oberbürgermeister und der Reichskanzler a. D. nutzten den aussagekräftigen Bildband auch politisch, um die prekäre Notlage Kölns zu thematisieren.

Man sieht eine zerstörte Steinstatur nach dem zweiten Weltkrieg.
Aus: Hermann Claasen – Gesang im Feuerofen (Madonna in den Trümmern)  

Das Museum zeigte im selben Jahr in der Eigelsteintorburg eine Auswahl von Hermann Claasens Fotografien unter dem Titel »Köln – Tragödie einer Stadt«. Der großen Resonanz entsprechend erlebte auch der »Feuerofen« 1949 seine zweite Auflage – mit neu gestaltetem Umschlagmotiv: Während die Erstauflage eine graphische Interpretation des Buchtitels (Domspitzen vor glühend rotem Himmel) zeigte, findet nun eine Aufnahme von Claasen Verwendung – die Figur des Apostels Johannes vom Petersportal des Kölner Domes. Die späteren Neuauflagen (1979 und 1980, Schwann-Verlag) unterscheiden sich zudem inhaltlich: In der Auswahl wurde ein besonderer Schwerpunkt auf Fotografien gelegt, die neben den Ruinenlandschaften zunehmend auch Personen wie Heimkehrer, Gefangene und Trümmerfrauen in den Fokus rücken und damit die Perspektive noch um den menschlichen Aspekt erweitern. Zudem widmete sich Claasen in seiner Sichtweise verstärkt all jenem, »was noch steht und erhalten ist«, oder zeigte die Zerstörung an öffentlichen und kirchlichen Bauten im Detail. So wird die Trümmermadonna von St. Kolumba auch bei ihm zu einer Symbolfigur für den Überlebenswillen und Neubeginn der Kölner.

Neben Richard Peter mit seinem Fotobuch zum zerstörten Dresden (»Eine Kamera klagt an«, 1949) gilt Claasens Veröffentlichung bis heute als wichtigster und stilbildender Beitrag zur Trümmerfotografie der Nachkriegszeit. Die Bewertung fällt allerdings unterschiedlich aus. Glasenapp (2008) versteht Claasens Publikation als »Aufruf zur christlich-katholischen renovatio [Erneuerung]«. Brink und Knoch verweisen 2003 darauf, dass Claasens Fotografien ein Gegenmodell zu den in der Zeit nach 1945 gängigen und bewusst instrumentalisierten Fotografien der »Sieger« darstellen, beispielsweise zu den anklagenden Fotodokumenten des Holocausts: Die Aufnahmen urbaner Trümmerwüsten visualisierten den »deutschen Opfergang« – relativeren und hinterfragen sie damit auch die Schuld der Deutschen?


Hermann Claasen – Gesang im Feuerofen. Überreste einer alten deutschen Stadt, Düsseldorf 1947, Fotobuch, H: 29 cm, B: 23,5 cm, 78 Seiten, Pappeinband, Inv.-Nr. HM 1948/4. Ankauf von der Bucherklause am Thurmchenswall, am 2. September 1948 fur 18 DM (als zweites Objekt des Museums nach der Wahrungsreform). Foto: rba_d033428_06 (Madonna in den Trummern)

Autor: Rüdiger Müller