Tatort Köln

»Grausame Entdeckung am Kölner Museum für Angewandte Kunst« titelte der »EXPRESS« am 8. Oktober 1991. Gegen 22 Uhr am Vortag waren Passanten – auf der Suche nach einem »stillen Örtchen« – im dichten Gebüsch neben dem Museum auf eine halb bekleidete Frauenleiche gestoßen. Der Name der Toten: Angelika Bayer. Die 37-jährige Vertriebsleiterin einer Software-Firma aus Düsseldorf hatte in der Nacht vom 5. auf den 6. Oktober in der unweit des Museums gelegenen Innenstadtkneipe »Schmittchen« gefeiert und das Lokal gegen 1 Uhr verlassen. Kurz darauf wurde sie vergewaltigt und erwürgt. Rund 48 Stunden lang lag ihre Leiche im dichten Nadelgestrüpp am Museum, nur einen Steinwurf entfernt von der Hauptgeschäftsstraße am Dom und der Pförtnerloge des WDR.


Man sieht die als Tatort-Silhouette angelegte Gedenkplatte für Angelika Bayer.
Christine Kaul: Entwurf einer Gedenkplatte für Angelika Bayer, Köln, 1992. 
Foto: rba_KSM1993-394

Das Schicksal der von den Medien zur »schönen Managerin« erhobenen Angelika Bayer beherrschte tagelang die Kölner Schlagzeilen. Die Polizei verteilte 75.000 Flugblätter an Haushalte in der Kölner Innenstadt und bat um Unterstützung bei der Aufklärung des Verbrechens. Alle Kölner Innenstadt-Kinos brachten im Vorprogramm ein Bild von Angelika Bayer mit einem Hilfeaufruf der Mordkommission. Die Fahndung blieb jedoch ohne Erfolg – während zeitgleich ein neues Sexualverbrechen – der Mord an der 16-jährigen Auszubildenden Seckin Caglar – die Kölner Öffentlichkeit erschütterte.

Die feministische Zeitschrift »EMMA« unter der Leitung von Alice Schwarzer nahm dies zum Anlass, die Notwendigkeit ihrer Kampagnen gegen männliche Gewalt und sexuellen Missbrauch zu unterstreichen. Am Jahrestag von Angelika Bayers Tod, am 5. Oktober 1992, startete das Magazin die Aktion »Stoppt Frauenhass«, um Sexualverbrechen in Deutschland stärker ins öffentliche Bewusstsein zu rücken und mehr Sicherheit für Frauen einzufordern. In Artikeln und öffentlichen Auftritten erklärte Alice Schwarzer die Morde und Vergewaltigungen zur letzten Konsequenz eines alltäglichen Frauenhasses und zum Versuch, alle Frauen einzuschüchtern. »Rassismus und Antisemitismus sind ein ernstes und zu recht bekämpftes Problem hierzulande – das Motiv Sexismus aber existiert angeblich nicht. Dabei fordert der Sexismus Tag für Tag, Jahr für Jahr eine vielfache Zahl von Opfern. Millionen Menschen werden geschlagen, vergewaltigt, getötet – weil sie Frauen sind«, so ihre kämpferischen Worte. Alle Artikel, Flugblätter und Poster im Rahmen der Kampagne wurden mit dem Bild von Angelika Bayer versehen, deren Ermordung sich nur wenige Meter entfernt von den damaligen Redaktionsräumen der EMMA ereignet hatte. »Ermordet, weil sie zu selbstbewusst war«, so der Tenor des Magazins.

Am Fundort von Angelika Bayers Leiche, sollte, so der Plan von EMMA, ein Mahnmal für alle ermordeten Frauen eingerichtet werden. Die 1946 in Misdroy geborene Kölner Künstlerin Christine Kaul entwarf im Auftrag der Zeitschrift eine Gedenkplatte, die die lebensgroßen Umrisse eines am Boden liegenden Frauenkörpers zeigte und in den Straßenbelag eingelassen werden sollte. Im Rahmen einer Gedenkfeier für die getötete Vertriebsleiterin am Abend des 5. Oktober 1992 wurde der Entwurf öffentlich vorgestellt. Rund 300 Frauen nahmen an der Veranstaltung teil. Auf Transparenten forderten sie unter anderem ein »Ausgehverbot für alle Männer«. Die Umsetzung des Denkmal-Projektes scheiterte jedoch letztendlich an fehlenden finanziellen Mitteln.

1993 erwarb das Kölnische Stadtmuseum den Gedenkplatten-Entwurf von der Künstlerin.

2003 sorgte Angelika Bayer noch einmal für Schlagzeilen: Dank neuer Methoden zur DNA-Bestimmung wurde ihr Mörder, ein vorbestrafter Sexualtäter, zwölf Jahre nach der Tat von der Polizei in Köln-Humbold-Gremberg gefasst.


Christine Kaul: Entwurf einer Gedenkplatte für Angelika Bayer, Köln, 1992, Ölgemälde auf Holz, H: 205 cm, B: 122 cm, Inv.-Nr. KSM 1993/394. Ankauf von Christine Kaul, Köln. Foto: rba_KSM1993-394

Autor: Dr. Wibke Becker