Swing aus der »Goebbelsschnauze«

Mit der Wiedereröffnung des Stadtmuseums 1984 wurde den Besuchern ein bislang in der Präsentation des Hauses völlig unbehelligter Teil der Kölner Geschichte präsentiert: die Zeit des Nationalsozialismus. Einige Dutzend Exponate zeigten den Aufstieg der NSDAP, die Verfolgung jüdischer und anderer Mitbürgerinnen und Mitbürger, Krieg und Zerstörung. Im Gegensatz zu häufigen Behauptungen verlief diese Zeit in Köln nicht anders als im übrigen Deutschland. Die Nationalsozialisten fassten hier schnell und gut Fuß, jüdische Geschäfte wurden von Kölnern gemieden, Synagogen zerstört und mindestens 7.000 der 16.000 Kölner Juden und 4.000 weitere Kölner »Volksfeinde« ermordet. Die Gleichschaltung erfasste alle Lebensbereiche, Adolf Hitler wurde bei jedem seiner fünf Besuche in Köln frenetisch gefeiert, und obwohl die Jugendgruppe »Edelweißpiraten« in Köln ihre widerständischen Aktionen durchführte, war Köln kein Zentrum des Widerstands.


Man sieht einen deutschen Kleinempfänger aus dem Jahr 1938.
Deutscher Kleinempfänger
DKE 38
, Deutschland, 1938, 
KSM 1984/72. Foto: rba_d033559

Auch die Propaganda spielte in der neuen Museumsabteilung eine große Rolle. Neben Zeitungen wie dem Völkischen Beobachter war es insbesondere das Radio, das den Nationalsozialisten als Zugpferd der Massenpropaganda dienen sollte. 

Ziel war es, gemeinsam mit großen deutschen Technikherstellern ein Radiogerät zu produzieren, das so günstig war, dass es sich auch Arbeiterfamilien leisten konnten. Nach den ersten Erfolgen mit dem Volksempfänger VE 301 wurden die Geräte weiterentwickelt und vor allem noch günstiger. 1938 wurde der (im Volksmund auch »Goebbelsschnauze « genannte) Deutsche Kleinempfänger DKE 38 auf den Markt gebracht. Hatte der VE 301 noch 76 RM gekostet, war der DKE 38 schon für 35 RM zu haben. Zum Vergleich: 1938 verdiente ein männlicher Arbeiter durchschnittlich 35 RM in der
Woche. Für diese Summe konnte man in Köln 1938 auch rund 90 Roggenbrote kaufen.

Ein »Volksempfänger« war der DKE 38 streng genommen nicht, da nur Geräte der Baureihe VE 301 diesen Namen trugen. Doch beide Radiogeräte erfüllten denselben Zweck: »Ganz Deutschland hört den Führer (…)« 

Im Gegensatz zum VE 301 war der DKE 38 nicht hochrechteckig, sondern quadratisch. Entsprechend der preislichen Vorgaben blieb das Design schlicht und etwas bieder. Lediglich ein Reichsadler mit Hakenkreuz prangte nun über dem Frequenzsucher, als ob die Hörer so noch beim Suchen gemahnt werden sollten, ja nicht das falsche Programm zu wählen. Denn entgegen häufigen Behauptungen konnten mit dem DKE 38 (wie mit dem VE 301) auch ausländische Sender gehört werden. Mit teureren Markengeräten war dies sogar noch leichter, da diese empfindlichere Empfänger hatten. Sender wie die BBC, Radio Moskau oder Radio Oranje sendeten seit Kriegsbeginn deutschsprachige Programme auf Kurz- und Mittelwelle, um denjenigen Teil der deutschen Bevölkerung mit Nachrichten zu versorgen, dem die gleichgeschaltete NS-Propaganda nicht ausreichte.

Seit dem Beginn des Zweiten Weltkriegs waren den Geräten Warnungen beigefügt, die auf die strafrechtlichen Folgen für das Abhören von »Feindsendern« hinwiesen. Die Strafen dafür reichten von einfachen Verwarnungen (z. B. beim Hören von Swingmusik) bis hin zu Todesstrafen für das Abhören und Verbreiten von Nachrichten aus dem Ausland.

Bis in die 1970er Jahre hatte es bis auf Einzelstücke im Kölnischen Stadtmuseum keinerlei Bestände zur Zeit des Nationalsozialismus gegeben. Dementsprechend konnten auch die Ausstellungen »Vor einer Generation. Köln im Krieg« im Stadtmuseum und »Widerstand und Verfolgung in Köln 1933–1945« im Historischen Archiv im Jahr 1974 den Alltag unter dem Regime nur unzureichend zeigen. Allerdings war im Anschluss an die Ausstellungen ein spürbarer Anstieg an Zugängen zu verzeichnen. Aufrufe in Presse und Radio, dem Stadtmuseum Objekte aus der NS-Zeit zu überlassen, sorgten außerdem für einen großen Zulauf.

Vielfach wurden die Objekte anonym abgegeben. Viele Spender waren offenbar froh, die Sachen losgeworden zu sein, und wollten mit dem »Hitler-Kram« nichts mehr zu tun haben. So ist es nicht verwunderlich, dass die Stifterin Frau Mehlem, die 1984 den Kleinempfänger an das Stadtmuseum abgab, nichts als ihren Nachnamen hinterließ.


Deutscher Kleinempfänger DKE 38, Deutschland, 1938, Bakelitgehäuse, H: 24 cm, B: 24 cm, T: 12 cm, Inv.-Nr. KSM 1984/72. Foto: rba_d033559

Autor: Sascha Pries