Jingle Bells

Der »Caroussel«- oder Rennschlitten aus dem Schloss Biebrich war ein Spielzeug für den Adel. Bei höfischen Turnieren z. B. saß die Dame im Wagenkorb, derweil ihr Kavalier dahinter saß und das Pferd lenkte. Gespielt wurde etwa Ringstechen, wobei die Dame die Lanze führte und der Ring auf der Stange auch durch einen Blumenkranz ersetzt werden konnte. Diese Wettkämpfe – gern in Verkleidung passend zur Schlittenfigur (hier eine »schöne Indianerin« oder Amazone) – fanden nicht nur im Schnee oder auf Eis statt, die Kufen konnten auch auf einem geölten Holzboden zum Einsatz kommen.


Zu sehen ist eine Detailaufnahme eines Spielzeug-Rennschlittens aus dem 18. Jahrhundert.
»Caroussel«- oder Rennschlitten aus dem Marstall des Schlosses Biebrich, verm. 1. Drittel des 18. Jahrhunderts. Foto: rba_d033541_04 

Bei dem Begriff »Schlitten« denkt man vielleicht an eine Fahrt im gleißenden Wintersonnenschein vom Patscherkofel, dem Hausberg Innsbrucks, hinunter nach Igls, derweil die Glöckchen am Geschirr des Haflingers rhythmisch läuten und ein Refrain sich unwiderstehlich ins Ohr schmeichelt: »Jingle bells, jingle bells, jingle all the way, o, what fun it is to ride in a one horse open sleigh.«

Unser Schlitten diente jedoch anderen (höheren) Zwecken: Zu den höfischen Unterhaltungen gehörten Turniere, bei denen Wettspiele veranstaltet wurden wie beispielsweise das Ringstechen, wobei es galt, einen Ring oder Kranz (bisweilen auch eine Wurst) mit angelegter Lanze zu treffen. Während die Ritter diese Übung zu Pferd absolvierten, gab es für ihre Damen die Schlittenvariante. Dabei saß die Dame im Wagenkorb und dahinter ihr Kavalier (oder ein Bediensteter) auf der Sitzpritsche und lenkte das Pferd. Derlei Spiele fanden nicht nur im Winter auf Schnee statt, im Sommer behalf man sich mit einem geölten Holzboden. Auch fanden die Schlitten bei Paraden und Umzügen oder bei Maskeraden zu Karneval Verwendung.

Die Konstruktion solcher Schlitten ähnelte einfachen Gebrauchsschlitten: Auf einem Gestell mit zwei Kufen, die durch zwei Querhölzer verbunden sind, ruht der einsitzige Wagenkasten, der allerdings wesentlich aufwändiger gearbeitet ist. Der Korpus des Kastens ist oft mit Blatt- oder Rankenwerk verziert, in Form einer Muschel oder eines Sessels, und schließt vorn in einer Skulptur ab. 

Zu sehen ist ein Spielzeug-Rennschlitten aus dem 18. Jahrhundert.
»Caroussel«- oder Rennschlitten aus dem Marstall des Schlosses Biebrich, verm. 1. Drittel des 18. Jahrhunderts. Foto: rba_d033541_05

Diese kann als Wappen, als Tier oder als menschliche Figur gestaltet sein und wird meist am oberen Kufenauslauf wiederholt. Göttinnenfiguren und symbolische Frauenfiguren waren besonders beliebt.
Unsere »schöne Indianerin«, die wahrscheinlich den Kontinent Amerika symbolisiert, ist an ihrem Kopfputz, dem Federschmuck, zu erkennen. Wie und wann sie in die Sammlung des Marstalls im Biebricher Schloss geriet, ist mangels erhaltener Inventare nicht überliefert. Eine Besonderheit dieses Schlittens sind zwei Holzpantinen, die am hinteren Querholz befestigt und möglicherweise als Fußstütze oder zum Schutz empfindlichen Schuhwerks dort angebracht waren.
Es ist nicht bekannt, wofür Antoinette Trimborn (1864–1936) den Schlitten erwarb. Für Winterdivertissements auf der Wildenburg in Bürvenich, wo sie zu Hause war? (Anno 1926, als sie ihn an das Rheinische Museum verkaufte, war sie wahrscheinlich in einem Alter, wo man auf wilde Schlittenfahrten allmählich verzichten kann.)


 »Caroussel«- oder Rennschlitten aus dem Marstall des Schlosses Biebrich, vermutlich 1. Drittel des 18. Jahrhunderts, Holz, farbig gefasst; Metall, Leder, Textil; L: 232 cm, H: 135 cm, B: 87 cm, Inv.-Nr. RM 1926/113. Ankauf von Antoinette Trimborn, Bürvenich. Fotografien: rba_d033541_04 (Detail), rba_d033541_05

Autor: Beatrix Alexander