Ein Glücksfund an den »Poller Köpfen«
Für Köln hatte immer wieder die Gefahr bestanden, dass sich der Rhein, die Lebensader der Stadt, ein neues Flussbett weiter im Rechtsrheinischen suchte. Darum war die Sicherung des Poller Ufers von enormer Bedeutung. Bei der Arbeit an den »Poller Köpfen« ging dabei einem Handwerksmeister ein wertvoller Zinnlöffel verloren, der erst bei Baggerarbeiten für den Deutzer Hafen 350 Jahre später wiedergefunden wurde.
Man stelle sich folgendes Szenario vor: Köln im Jahr 2500: Die Karnevalszüge gehen durch die Stadt, der »Decke Pitter« lässt seinen vertrauten Gong ertönen, und in Köln braucht niemand mehr eine Brücke zu benutzen, um nach Deutz, Poll oder Mülheim zu gelangen. Und das nicht, weil es einen Tunnel gibt, sondern weil der Rhein seinen Flusslauf geändert hat und jetzt eben durch Kalk fließt und nicht mehr an der Altstadt vorbei.
So wäre es vielleicht geschehen, zumindest fast: Vor rund 500 Jahren waren die Kölner genau mit diesem Problem konfrontiert. Bei Hochwasser trat der Rhein bei Poll regelmäßig über das Ufer und bildete hinter Deutz einen Seitenarm. Für Köln bestand die Gefahr, dass der Rhein sich ein neues Flussbett suchen und die Stadt damit von ihrer Lebensader abschneiden könnte.
Ohne Rhein kein Hafen, ohne Hafen keine Wirtschaftsmetropole Köln, die ihren Reichtum der günstigen Lage am Rhein zu verdanken hatte. Also versuchte der Kölner Rat, die natürliche Änderung des Rheinlaufs zu verhindern. Doch Poll gehörte damals noch gar nicht zur Stadt Köln, sondern zu Kurköln. Es war im Besitz des Erzstifts, mit dem die Kölner nicht erst seit 1268 – als sie den Erzbischof aus der Stadt vertrieben – im Streit lagen.
Doch auch dem Erzstift war nicht daran gelegen, dass bei Hochwasser seine Felder überflutet wurden, und so einigte es sich mit dem Kölner Rat darauf, dass auf Kosten der Kölner Bürger Weiden entlang des Poller Ufers gepflanzt wurden. Erst 1557 wurde jedoch eine bessere, endgültige Lösung gefunden. Das Domkapitel vererbpachtete der Stadt Köln die beiden Rheininseln Poller Werth und Osterwerth. Zwischen 1577 und 1583 wurden dort drei große Buhnen aus mächtigen Eichenpfählen mit Querverstrebungen und Basaltblöcken angelegt, die die Strömung am Poller Ufer minimierten und die Umleitung des Rheins bei Hochwasser verhinderten. Die Aufsicht über die »Poller Köpfe« hatte mit dem »Weidenhüter« ein städtischer Beamter, dem seitens des Erzbischofs sogar ein Wohnhaus auf der Anlage zugestanden wurde. Der Stadtchronist und Ratsherr HerrmannWeinsberg schrieb 1582 über die Anlage, es »wirt ein kostlich kleinat vor die stat Coln sin, den Rhein hart dran zu behalten«. Die Pacht: jährlich zwei Tonnen Hering und für jeden neuen Erzbischof ein vergoldetes Silbergeschirr.
In den Genuss, von Geschirr oder mit Besteck aus vergoldetem Silber zu essen, kamen im Spätmittelalter indes nur Adlige und reiche Kaufleute. Ärmere Schichten nutzten Teller und Löffel aus Holz. Standesbewusste Bürger konnten sich gegossene Zinnlöffel wie den hier gezeigten leisten, die seit dem 15. Jahrhundert Verbreitung fanden. Die runde Form der Laffe (von mittelalterlich »laffen« = schlürfen) ist typisch für das Spätmittelalter, ovale Formen, wie wir sie heute benutzen, verbreiteten sich erst im 18. Jahrhundert.
Da die meisten Speisen der normalen Bevölkerung in Form von Suppen oder Breien konsumiert wurden, war der Löffel das meistgebrauchte Hilfsmittel. Allerdings benutzte man meist überhaupt kein Besteck und aß mit den Fingern. Messer gehörten zur alltäglichen Grundausstattung und kamen auch beim Essen zum Einsatz. Die Gabel war als Strafwerkzeug des Teufels verpönt. Martin Luther soll 1518 gesagt haben: »Gott behüte mich vor Gäbelchen.«
Die Anlage der »Polle Köpfe« war ein teures und aufwändiges Unterfangen. Auch viele Handwerkermeister werden am Bau beteiligt gewesen sein. Gut möglich, dass einer von ihnen nach der Mittagspause – zu der meist auch eine gehörige Menge Bier oder Wein gehörte – unbemerkt seinen Zinnlöffel verlor, der dann für die nächsten 400 Jahre unter Steinen, Erde und Holzbohlen begraben blieb.
Erst bei Baggerarbeiten zum Bau des neuen Deutzer Hafens (1904–1907) wurde der Löffel von Josef Gibony, einem Tagelöhner aus der Follerstraße 46 (Südstadt) wiedergefunden. Er wird den Löffel beim Graben entdeckt und mitgenommen haben und verkaufte ihn einige Jahre später dem Historischen Museum für 3 Mark. Bei einem Stundenlohn für ungelernte Arbeiter von durchschnittlich rund 40 Pfennigen war der Fund für ihn ein absoluter Glücksgriff.
Esslöffel, Köln um 1500, Zinn, L: 15 cm, Inv.-Nr. HM 1911/183. Ankauf von Josef Giborny, der den Löffel bei Baggerarbeiten gefunden hatte, für 3 Mark. Foto: rba_d033551
Autor: Sascha Pries