Das Bild ist in schwarz-weiß und zeigt mehrere Füße in kaputten Schuhe, welche auf Trümmern stehen.

Kölle, du bes e Jeföhl: Wovor haben wir Angst?

„Alles verlore, kein Wohnung, kein Arbeit, kei‘ Jeld!“ Wenn die Band „Höhner“ Menschen ohne festen Wohnsitz besingt, werden die Fans bei den Konzerten immer ganz nachdenklich und still. Dann ist kurz Schluss mit Lust und Liebe… Plötzlich kriecht so etwas wie Angst hoch. Könnte mir das auch so passieren, so ein Absturz? Oder ein tragischer Unfall? Könnte ich auch mitten hineingeraten in Terror und Krieg?

Was ist Angst? Wie fühlt sie sich an? Wie überall anders auf der Welt haben die Kölner*innen dieses Gefühl in den letzten 2000 Jahren oft erlebt. Im Bereich „Was macht uns Angst“ in unserer neuen Dauerausstellung erzählen wir ab dem 23. März 2024 genau davon!

Angst kann viele Ursachen haben: Ausgrenzung oder Verfolgung. Krieg oder politischer Terror. Hunger, Krankheit oder Tod. Verlust von Arbeit, Wohnung, Heimat. Dieses Gefühl und seine Auswirkungen haben sich bis heute tief in die Seelen der Menschen und die Geschichtsbücher eingebrannt.

LEBENSBEDROHLICHE KRANKHEITEN

Die Angst vor lebensbedrohlichen Krankheiten wie Pest, Pocken, Lepra oder Cholera gehört nicht nur im Mittelalter zum täglichen Leben. Sie zieht sich durch alle Jahrhunderte bis fast in unsere Gegenwart. Erst die moderne Wissenschaft und Forschung hat uns Menschen seit knapp 100 Jahren viel Angst davor genommen.

Die Alexianer-Mönche sind um 1605 mit ihren medizinischen Kenntnissen noch nicht soweit: Als sie pestkranke Soldaten auf dem Domhof (heute Roncalliplatz) pflegen, können sie leider niemanden heilen. Doch schon damals halten sie sich Taschentücher (vergleichbar mit unseren Masken) vor die Nase. Sie haben Angst vor „ansteckenden Dämpfen“.

Ein gemaltes Bild des Domhofs.
Alexianer-Mönche bei der Pflege pestkranker Soldaten auf dem Domhof: Sie können den Erkrankten jedoch nicht helfen (Domhof in Köln zur Pestzeit: Köln 1605)
Zu sehen ist eine kleine Statue, das Leprosenmännchen.
Schon in der Frühen Neuzeit isoliert man Kranke aus Angst vor Ansteckungen. Pest- und Leprakranke dürfen nur selten in die Stadt kommen und müssen sich mit Klappern bemerkbar machen. Leprosenmännchen-Relief aus Melaten, Köln 1629/30

Und die meisten Kölner*innen haben nicht nur Angst vor den Krankheiten, sondern auch vor den Kranken. Die werden isoliert und aus der Stadt gejagt. Pest- oder Lepra-Kranke dürfen sich nur selten innerhalb der Stadtmauern bewegen und müssen sich dann mit lautem Klappern bemerkbar machen, so dass die besorgten „Gesunden“ sich hinter ihren Fenstern und Türen in Sicherheit bringen können.

Noch im 19. Jahrhundert sorgt die Cholera für Entsetzen. Schuld sind die dramatisch schlechten hygienischen Zustände in der Großstadt. Hier leben zu viele Menschen auf zu dichtem Raum. Das lebenswichtige Wasser ist verunreinigt. Ein wichtiger Schritt dann: die Eröffnung des ersten Wasserwerks im Jahre 1872.

Und dann kommt vor wenigen Jahren Corona! Die Bilder von Massengräbern aus Italien sorgen auch bei uns für eine Schockwelle. Das öffentliche Leben wird fast eingestellt, Schulen und Kindergärten werden geschlossen. Kinos zu, Theater dicht, Home-Office.

Es folgen Maskenpflicht und Testpflicht. Tragische Todesfälle in unserem unmittelbaren Umfeld sorgen für Entsetzen und nackte Angst vor einem unsichtbaren Virus. So schnell kann’s gehen.

VERFOLGUNG

Was fremd ist und sich die Menschen nicht erklären können, macht Angst. Ob Krankheiten, ungewöhnliche Wettergeschehen wie Dürren oder Fluten… die Zahl der Beispiele könnte endlos weitergehen. Grund für Angst oder Angstmacherei können aber auch die Menschen selber sein. Die andere Hautfarbe, unbekannte Sprache, ferne Heimat, geheimnisvolles Wissen oder der andere Glauben. Das traurige Prinzip funktioniert bis heute.

Zu sehen ist ein Gemälde von einem Mann und im Hintergrund einer Frau.
Ein Opfer der Kölner Hexenprozesse ist die Postmeisterin Katharina Henot. Die Anklage stützt sich nur auf die unter Folter erwirkte Aussage einer Nonne. Dennoch wird sie 1627 vom Scharfrichter erdrosselt und verbrannt. Ihr Bruder Hartger lässt anschließend dieses Gemälde anfertigen, das die Verantwortlichen kritisiert (Hartger Henot und die Apokalyptischen Reiter, Köln 1637, Kölner Gymnasial- und Stiftungsfonds, Foto: RBA)
Zu sehen ist ein Teil einer verbrannten Thorarolle.
Ab 1935 wird eine Vielzahl von Gesetzen erlassen, die Jüdinnen und Juden im Deutschen Reich systematisch benachteiligen. Beim reichsweiten Pogrom am 9. November 1938 brennen auch die Synagogen in Köln (Tora-Fragment aus einer Kölner Synagoge, Köln (?) ca. 1860/1910, KSM, Foto: RBA)

Das bedeutet: Die Menschen wollen wissen, wen sie für schwierige Umstände verantwortlich machen können. Die vermeintlichen „Sündenböcke“ werden immer gefunden. So entsteht unter anderem im 16. Jahrhundert die Verfolgung von sogenannten „Hexen“. Es ist eine gnadenlose Jagd mit Hunderten von gequälten und bestialisch getöteten Frauen. Das bekannteste Opfer in Köln ist sicherlich die Unternehmerin Katharina Henot.


Immer wieder trifft es in den vergangenen Jahrzehnten und Jahrhunderten die jüdischen Mitbewohner*innen. Nach jahrelangem friedlichem Miteinander werden jüdische Kaufleute und ihre Familien aus der Innenstadt gejagt, gefoltert, gelyncht, getötet.

Das Pogrom von 1349 gehört zu den traurigsten Kapiteln Kölner Geschichte. Diese Angst vor dem „Anderen“ machen sich vor 100 Jahren auch die Nationalsozialisten zu Nutze: Ihr Antisemitismus wird – mit unglaublicher Menschenverachtung – zum systematischen Massenmord getrieben.

Bereits am 9. November 1938 brennen auch in Köln die ersten Synagogen. In der Folge werden mehr als 11.000 jüdische Männer, Frauen und Kinder vom Messelager und Bahnhof Deutz in Ghettos und Vernichtungslager verschleppt und dort getötet.

KRIEG

Dass das Nazi-Regime aus seinem rassistischen Denken heraus für die Katastrophe des Zweiten Weltkriegs sorgt, ist schließlich der traurige Höhepunkt ideologischer Verblendung. Die Folgen sind Millionen Tote weltweit, Städte in Schutt und Asche, Leid, Elend und Angst.

Zu sehen sind verschiedene Kinderfüße. Sie tragen kaputte Schuhe und stehen auf Schutt. Das Bild ist schwarz-weiß.
Hermann Claasen: Kinder in der Nachkriegszeit, 1946/47 (KSM, Foto: RBA Köln)

Die Kölner Innenstadt wird zu 90 Prozent zerstört. Die Angst-Traumata vor den verheerenden Bomber-Angriffen begleitet nicht nur das Leben vieler Kölner*innen ihr Leben lang.

Zu sehen ist ein Stolperstein.
Die Jüdin Elisabeth Moses lebt damals in der Elisenstraße 3 und flieht 1934 in die USA. 1925 erarbeitet die Kunsthistorikerin noch die jüdische Abteilung der Jahrtausendausstellung der Rheinlande (Stolperstein (Duplikat) für Elisabeth Moses, G. Demnig, Köln 2013, KSM, Foto: RBA)

Hinzu kommt, dass die Stadt zuvor von Kriegen innerhalb der Stadtmauer verschont geblieben war. Not, Elend, Hunger, Gewalt, das hatte vielen Menschen auch Jahrhunderte zuvor bereits Angst gemacht. Doch eine so grundsätzliche Zerstörung der Lebensbasis ist für Köln neu.

Der Wiederaufbau der Steine gelingt schnell, der Seelen weniger.

Die „Stolpersteine“ des Kölner Künstlers Gunter Demnig auf den Fußwegen vor den Häusern erinnern mittlerweile (nicht nur in Köln) an die vielen getöteten jüdischen Nachbarn*innen. Leider ist die Angst vor dem „vermeintlich“ Fremden aus der Seele vieler Menschen nicht auszutreiben: Bereits im Jahr 1947 (also zwei Jahre nach Kriegsende) sind laut einer Untersuchung weiterhin 60 Prozent aller Deutschen antisemitisch oder rassistisch eingestellt.

Die Folgen sind weitreichend und machen Angst: Bereits zu Weihnachten 1959 beschmieren Rechtsextreme die frisch eingeweihte Synagoge in der Roonstraße. Verwüstungen und Schmierereien auf jüdischen Friedhöfen gehören bis heute zum Alltag. Antisemitische und rassistische Vorfälle nehmen gerade wieder besorgniserregend zu.

TERROR

Auch die Angst vor Terroranschlägen begleitet uns kontinuierlich. Selbst wenn wir nicht persönlich betroffen sind, fragen wir uns: Wo waren wir an jenem verhängnisvollen Tag? Befanden wir uns vielleicht sogar ganz in der Nähe? Hätten wir Betroffene sein können, zufällige Zeugen „zur falschen Zeit am falschen Ort“?

Zu sehen ist ein selbstgebauter Flammenwerfer.
Selbstgefertigter Flammenwerfer aus einer Pflanzenspritze, Köln 1964 (KSM)

Am Morgen des 11. Juni 1964 kommt es im Kölner Stadtteil Volkhoven zu einer unvorstellbaren Bluttat. Der ehemalige Wehrmachtssoldat Walter Seifert greift, bewaffnet mit einem selbstgebauten Flammenwerfer und einer Lanze, eine Volksschule an. Acht Kinder und zwei Lehrerinnen kommen ums Leben, viele weitere werden verletzt. Seifert vergiftet sich anschließend mit einem Pflanzenschutzmittel. Es ist einer der verheerendsten Schul-Amokläufe der deutschen Geschichte.

Im Jahr 1977 entführt und ermordet die RAF (Rote Armee Fraktion) in und bei Köln Arbeitgeberpräsident Hanns Martin Schleyer. Die Großfahndung der Sicherheitsbehörden beunruhigt das ganze Land.

2004 verübt die rechtsextreme NSU (Nationalsozialistischer Untergrund) ihr Nagelbombenattentat in der Keupstraße. Ein grausamer Anschlag, der nicht nur ganz Mülheim erschüttert, sondern bundesweit für Aufsehen sorgt.

2015 versucht ein anderer Rechtsextremist Henriette Reker einen Tag vor der Oberbürgermeisterwahl mit einem Messerstich in den Hals zu ermorden. Die parteilose Politikerin überlebt schwer verletzt – und gewinnt die Wahl.

Mit dem Überfall Russlands auf die Ukraine sind Krieg und Angst zurück in Europa. Aber auch vieles andere kann weiterhin Angst machen – die Klimakrise, steigende Preise, unsichere Radwege…

Mehr zu diesem Thema erfahrt ihr ab dem 23. März 2024 im neuen Kölnischen Stadtmuseum im ehemaligen Modehaus Franz Sauer.

Autor: Michael Bischoff