Gemälde des Rosenmontagszugs.

Kölle, du bes e Jeföhl: Was bewegt uns?

„Ich möch ze Fooss noh Kölle jon!“ Die Worte stammen aus dem Lied „Heimweh nach Köln“ von 1936 und werden vor allem nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges zur Hymne: Mit ihnen auf den Lippen kehren viele Soldaten und Flüchtlinge zurück in ihre zerstörte Heimat. Noch heute bewegen diese Zeilen von Willi Ostermann gerade ältere Kölner*innen zu Tränen.

In unserer neuen Dauerausstellung nähern wir uns dem Thema Bewegung aus unterschiedlichsten Richtungen. Einerseits gibt es die schlichte Fortbewegung von A nach B, ob zu Fuß, zu Pferd, in der Kutsche, mit Bahn, Auto oder Flugzeug. Wir bewegen uns auch viel bei Umzügen oder Festmärschen, man denke nur an den Rosenmontagsumzug. Doch was bewegt uns noch? Große Gefühle, beispielsweise die Liebe. Aber auch die Angst, die ihrerseits zu neuen Protest-Bewegungen führt.

Neugierig auf viele Geschichten aus Köln rund um das Thema „Was bewegt uns“? Kommt vorbei, wenn unser neues Haus am 23. März 2024 seine Türen öffnet!

„D’r Zoch kütt!“ Dieser Ruf kündigt eine ganz besondere Form der Bewegung durch die Stadt an. Für die meisten Kölner*innen ein wichtiger Moment: Die einen stehen am Straßenrand und feiern den Rosenmontags-Zoch, die anderen ziehen mit ihm als Giga-Parade voller guter Laune durch die Straßen.

Teil des Zochs können an diesem für viele höchsten „Feiertag“ bis zu 12.000 Jeck*innen sein. Alaaf, das gehört zum Kölner Karneval. Dazu kommen übrigens Dutzende von kleineren Zügen durch die Veedel, Vororte und Nachbargemeinden. Selten ist das Rheinland so bewegt wie an den Tagen kurz vor Aschermittwoch und der christlichen Fastenzeit.

Das war nicht immer so. Erst seit 1823 versucht das „Festordnende Komitee“ den Karneval in „geordnete Bewegung“ zu bringen. Zuvor haben die machthabenden Preußen das chaotische Feiern verboten. Das hält die fröhlichen, tanzenden Menschen zwar von ihrem geliebten Kneipenkarneval nicht ab, doch der erste „Zoch“ auf dem Neumarkt gilt als Urknall des heutigen offiziellen Karnevals. Das festliche närrische Jubiläum wurde 2023 ausgiebig gefeiert und die Ausstellung des Stadtmuseums im benachbarten MAKK – Museum für Angewandte Kunst ein Publikumshit.

DER ZOCH UND DER KRIEG

Mit dem Ersten Weltkrieg ist erst einmal Schluss. Nach dem dramatischen Ende des Krieges verhängt die britische Besatzungsmacht zudem ein offizielles Karnevalsverbot. Die heimlichen Feiern der Menschen im Privaten – oder spontanen Umzügen – kann sie nicht verhindern. Denn wenn eine*n Kölner*in etwas bewegt, ist es der Karneval. Komme, was wolle! Richtige Bewegung kommt erst 1927 wieder in den offiziellen Karneval – mit dem ersten Rosenmontagszug nach 13 Jahren.

Rot-Blaue Trommel mit der Aufschrift "Make Fastelovend not war!"
1991 erschüttert der Golfkrieg die Weltgemeinschaft. In Köln sagt man daraufhin den Karneval ab. Im Schneegestöber findet am 21. Januar dennoch ein spontan organisierter Rosenmontagszug als Anti-Kriegsdemo statt. Das Motto des Zuges: MAKE FASTELOVEND NOT WAR (Trommel aus dem Kölner Rosenmontagszug 1991, Köln um 1980, KSM, Foto: RBA).

Als um Jahr 1991 der erste Golfkrieg die Weltgemeinschaft erschüttert, passiert in Köln Ungeheuerliches: Das Kölner Festkomitee sagt den offiziellen Straßenkarneval und damit alle Züge ab. Doch die Menschen bleiben in Bewegung: Sie treffen sich am 21. Januar 1991 im Schneegestöber zur spontanen Anti-Kriegsdemo. Das Motto damals: „Make Fastelovend Not War“. Daraus entsteht der „Geisterzug“ als politisches Gegengewicht zum offiziellen Zoch – bis heute mit großer Tradition.

Das emotionalste Rosenmontags-Event in jüngster Vergangenheit sorgt sogar weltweit für Schlagzeilen: Als zum Beginn des Ukraine-Kriegs 2022 der große Zoch vom Festkomitee kurzfristig abgesagt und zu einer Protestkundgebung gegen den russischen Einmarsch umfunktioniert wird, gehen über eine halbe Million Menschen für den Frieden auf die Straße. Es ist ein bewegender Moment für die Stadt.

PROTEST UND GLAUBE

Viel bewegt hat auch die LGBTQ+-Szene. Mit dem Aufstand 1969 in der New Yorker Christopher Street gegen die Willkür der Polizeimacht entsteht in Deutschland nach und nach eine Protestwelle, die als CSD ihre Ausdrucksform in einer Demo-Parade findet.

Heute gehört die Cologne Pride mit rund 1,2 Millionen Teilnehmer*innen sowie Besucher*innen zur größten Bewegung des Landes. „Kölle Aloha“ ist zu einem friedlichen Markenzeichen geworden, das weltweit für Begeisterung sorgt.

Glitzer-Stiefeletten, getragen bei diversen CSD-Paraden
Trotz schriller Kostüme und ausgelassener Stimmung ist der CSD eine politische Veranstaltung (Glitzer-Stiefeletten, getragen bei diversen CSD-Paraden, Köln um 2010, KSM, Foto: RBA).

Begeistert unterwegs sein für den Glauben hat in Köln ebenfalls Tradition. Zu den großen Paraden der Vergangenheit gehört seit 1279 die katholische Fronleichnamsprozession. Diese „Große Gottestracht“ wird erst 1794 durch die französische Besatzung gestoppt. Sie findet zwar später wieder statt, doch sie hat bis heute nicht mehr zu ihrer ursprünglichen Kraft und Bedeutung zurückgefunden.

DAS AUTO EROBERT DIE WELT

Was bewegt die Kölner*innen noch? Das ist natürlich das Automobil. Ab 1897 werden selbstfahrende „Kutschen“ in Köln-Sülz in der Kölner Motorwagen-Fabrik produziert. Das älteste noch erhaltene Auto der Firma stammt aus dem Jahr 1901. Die Form erinnert an eine Kutsche und die Sitzanordnung gibt dem Fahrzeug seinen Namen: Vis-à-Vis. Der Viertaktmotor hat 6–8 PS. Als Beleuchtung dienen u.a. zwei geschlossene Kerzenlampen.

Für den nächsten Wirtschaftsclou sorgt der damalige Oberbürgermeister Konrad Adenauer: Er holt den US-amerikanischen Autohersteller Ford nach Köln. Mit der Eröffnung des ersten Werks in Deutschland wird Köln 1931 endgültig zur Auto-Stadt. Das Ford „Modell Y“ erhält in Deutschland den Namen „Köln“.

Kurz darauf, 1932, entsteht zwischen Köln und Bonn die erste Autobahn (heute die A555) Deutschlands und ist anfangs mit rund 3000 Fahrzeugen täglich die meistgenutzten (kreuzungsfreien) Straße im Deutschen Reich.

VOM PFERD ZUM FAHRRAD

Die Zeit der Pferde ist endgültig vorbei. Sie haben über Jahrhunderte das Straßenbild geprägt und auch die ersten öffentlichen Verkehrsmittel gezogen. Busse und Bahnen rollen seit der Jahrhundertwende immer häufiger mit Elektrizität und Benzin durch die Straßen. Köln wächst und kommt immer mehr in Bewegung. So werden die Straßen breiter und die Parkplätze größer.

Wo früher die Pferdeäpfel stinken, verpesten jetzt Auto-Abgase die Luft. Noch in den 1950er- und 1960er-Jahren stört das die wenigsten. Der Aufbruch in die Moderne bewegt und elektrisiert die Menschen. Doch dann kommen auch kritischere Töne auf. Ein Dauerproblem: Die Straßen der wachsenden Stadt sind regelmäßig verstopft. Auch als in den 1960er-Jahren die ersten Bahnstrecken in Köln unter die Erde verlegt werden.

Als Alternative zum Auto entdecken die Menschen mit dem Beginn des 21. Jahrhunderts den öffentlichen Bahnverkehr neu. Zur Verkehrswende gehört neben dem Ausbau von Bus und Bahn aus ökologischen Gründen aber auch zunehmend das Fahrrad. Wo es Jahrzehnte lang ein Randdasein führt, entstehen neuerdings große breite Fahrradwege und Fahrradstraßen. So erfindet sich eine Stadt für eine bessere Bewegung von A nach B wieder neu.

BEWEGENDE SCHICKSALE

Porträt von Franz Raveaux.
Franz Raveaux beteiligt sich 1848 an der Deutschen Revolution. Nach der Niederlage flieht er nach Belgien. In Köln verurteilt man ihn 1851 in Abwesenheit zum Tod (Porträt von Franz Raveaux, Deutschland (?) um 1848, KSM, Foto: RBA).

Viel Bewegung in der Stadt entsteht auch durch, dass Menschen neu in die Stadt ziehen – oder sie verlassen. Sie kommen als Soldaten, Gelehrt*innen oder Flüchtlinge, als neue Arbeitskräfte oder aus reinem Zufall. Viele hoffen auf ein neues besseres Leben oder sogar eine neue Heimat. Oder müssen von hier flüchten…

Dabei gibt es Geschichten wie die von Martin Snellen, die einen Einblick in die Mobilität der Oberschicht im späten Mittelalter gibt. Geboren 1542 im niederländischen Deventer migriert der junge Mann nach Köln und schreibt sich hier 1560 an der Universität ein. Snellen überzeugt mit seiner Promotion, so dass er von 1586 bis zu seinem Tod 1601 Professor und Vizekanzler der Uni wird.

Ein Beispiel für Schicksale ganz anderer Art ist die Geschichte des Kölners Franz Raveaux. Nachdem er sich 1848 an der Deutschen Revolution beteiligte, muss er nach der Niederschlagung durch die preußische Staatsmacht nach Belgien fliehen. 1851 wird er in Abwesenheit zum Tode verurteilt und symbolisch auf dem Alter Markt hingerichtet.

Und dann ist da noch Kulla Jossifidis aus Südeuropa. Im Jahr 1963 will die junge Frau zusammen mit ihrer kleinen Tochter nur ihren Mann und ihren Bruder in Köln besuchen, die hier als „Gastarbeiter“ Geld verdienen und nach Hause schicken. Aus zwei Wochen Besuch werden mehr. Schließlich bleibt Kulla ganz in Köln und eröffnet eine eigene kleine Schneiderei. Erst 2019 gibt sie ihr Geschäft nach 55 Jahren auf.

Runden wir die bewegenden Schicksale mit Jabbar Abdullah ab. Der junge Mann verlässt 2013 seine Heimatstadt Raqqa, wo bereits seit zwei Jahren der syrische Bürgerkrieg tobt. Seine Flucht dauert 14 Monate und führt ihn über den Libanon, Ägypten, die Türkei und Bulgarien nach Köln. Hier schreibt er seine Fluchtgeschichte auf, wird erfolgreich Autor sowie Kurator und engagiert sich heute für den deutsch-syrischen Austausch.

Graue Schuhe aus Stoff.
Der syrische Bürgerkrieg wütet bereits seit zwei Jahren, als Jabbar Abdullah 2013 seine Heimatstadt Raqqa verlässt. Nach 14 Monaten und Stationen im Libanon, Ägypten, der Türkei und Bulgarien erreicht er Deutschland (Schuhe von J. Abdullah, Syrien um 2010, Privatbesitz, Foto: RBA)

Köln ist und bleibt eine bewegende Stadt.

Autor: Michael Bischoff