Etwa eine halbe Million Exponate dokumentieren Kölns Geschichte
Die Sichtung und Erforschung der Exponate des Kölnischen Stadtmuseums sind eine Ewigkeitsaufgabe. Mit geschätzt 500.000 Ausstellungsstücken, gelagert in zwei Depots, birgt das Museum ein wahres Füllhorn an historischen Belegen aus mehr als tausend Jahren Stadtgeschichte. Wie wahrt man da den Überblick und wie geht man mit einer solchen Masse sinnvoll um?
Stefan Lewejohann arbeitet seit 2008 beim Kölnischen Stadtmuseum und weiß, dass man die Sichtung und Erforschung so vieler Exponate niemals abschließen wird: „Die Sammlungsstücke stellen einen Bestand dar, der für alle Fragen, die mit der Stadtgeschichte Kölns verknüpft sind, herangezogen werden kann. So arbeiten beispielsweise häufig Doktorand*innen mit den Exponaten, um ein spezifisches Thema zu erforschen. Oder es werden Ausstellungen konzipiert, die einen bestimmten Zeitraum oder einen besonderen Aspekt der Geschichte in den Blick nehmen.“ Natürlich bleibe vieles auch über lange Zeit „unsichtbar“, aber jedes Ausstellungsstück könne jederzeit zu Forschungszwecken oder für eine Ausstellung hervorgeholt werden. Fertig werde man mit dieser Arbeit nie.
Was genau umfasst die Sammlung des Kölnischen Stadtmuseums? Was findet sich in den Depots?
„Die Sammlung des Kölnischen Stadtmuseums umfasst Objekte und Dokumente jeder Art“, erklärt Stefan Lewejohann, „da ist von der kleinen Anstecknadel bis zum Karnevalswagen alles dabei.“ Begonnen hat die Arbeit des Stadtmuseums 1888, in einer Zeit, in der in vielen Städten das historische Bewusstsein für die eigene Geschichte erwacht ist. Seitdem war es ein Anliegen des Museums, die Geschichte und die Veränderungen der Stadt möglichst umfassend zu dokumentieren. „Die Objekte der Sammlung gehen zurück bis zum Jahr 1.000 nach Christus und legen einen großen Schwerpunkt auf die bedeutsame Rolle der Stadt im Mittelalter“, so Lewejohann. „Alle Objekte aus der Zeit bis 1.000 nach Christus werden im Römisch-Germanischen Museum gesammelt.“ Vom Mittelalter bis zur Gegenwart reiche das Spektrum der Sammlung und man bemühe sich, wesentliche aktuelle Entwicklungen für künftige Generationen adäquat zu dokumentieren. Ein Beispiel dafür sei Corona. Hier habe das Kölnische Stadtmuseum einige Objekte wie zum Beispiel selbstgenähte Masken gesammelt, um dieses besondere Ereignis der Nachwelt „erzählen“ zu können.
Was können denn Alltagsobjekte erzählen?
Sinn der Sammlung sei es, die Stadtgeschichte in allen Facetten abzubilden. Man wolle sowohl Politik, Wirtschaft und Kultur als auch das Alltagsleben mit der Sammlung sichtbar und erlebbar machen, erläutert der Kurator. Und er fügt hinzu: „Jedes Objekt kann verschiedene Geschichten erzählen. Wenn ich beispielsweise einen Löffel habe, dann kann es sein, dass dieser in Köln gefertigt wurde und es um die Unternehmensgeschichte geht. Oder er gehört einer bekannten Stadtpersönlichkeit, deren Leben man erzählen möchte. Möglich ist aber auch, dass der Löffel bei einem historischen Ereignis eine besondere Rolle gespielt hat. Jedes Objekt der Sammlung kann aus unterschiedlichen Gründen Teil des Museumsbestandes geworden sein. Das macht unsere Exponate so interessant.“
Wie bewahrt man den Überblick über so viele Exponate?
„In der Sammlung befinden sich derzeit etwa 350.000 Objekte, 130.000 Grafiken und eine umfassende Bibliothek“, erklärt Stefan Lewejohann. „Der überwiegende Teil der Sammlungsstücke stammt aus Köln, allerdings gibt es auch noch einen überregionalen Bestand, der aus dem Rheinischen Museum herrührt, das gemeinsam mit dem Historischen Museen in den 1950er Jahren im Kölnischen Stadtmuseum aufging.“ Jedes einzelne Stück sei bis in die 2000er-Jahre auf einer Karteikarte dokumentiert worden. Jedes Exponat erhält eine Inventarnummer, eine „Nummer für die Ewigkeit“, außerdem sind die Beschreibung, die Maße, die Herkunft und – falls möglich – auch die Geschichte zu diesem Exponat verzeichnet. Seit 2007 verfügt das Kölnische Stadtmuseum über eine digitale Datenbank. „Seitdem haben die Karteikarten ausgedient, allerdings ist die Digitalisierung aller analogen Karteikarten noch lange nicht abgeschlossen.“ Egal, ob Karteikarte oder Datenbank, eine systematische Suche sei in beiden Systemen möglich und jedes Exponat sei jederzeit auffindbar, erläutert der Kurator. „Natürlich ist eine Suche in einer digitalen Datenbank deutlich komfortabler und schneller. Dadurch ergeben sich neue Möglichkeiten, Objekte zusammenzustellen und zu kategorisieren.“
Wie viele von all den Schätzen bekommt das Publikum denn künftig zu sehen?
Für die Kuratoren besteht die wesentliche Aufgabe darin, die Geschichte, die mit den verschiedenen Objekten verbunden ist, erlebbar zu machen. Im Rahmen der neuen Dauerausstellung wird es nur für einen kleinen Teil der Sammlung einen Platz geben. Nur etwa 500 bis 600 Ausstellungsstücke werden zu sehen sein. Lewejohann: „Wir hoffen natürlich, dass wir mehr Platz bekommen, wenn die städtebaulichen Pläne zur Historischen Mitte umgesetzt werden. Bis dahin dauert es allerdings noch etwas.“
„In der Zwischenzeit werden wir uns bemühen“, so der Plan des engagierten Kurators, „neben der Dauerausstellung auch einige Sonderausstellungen – zum Beispiel mit Partnern – zu realisieren.“ So ergäben sich möglicherweise Gelegenheiten zu gemeinsamen Ausstellungen mit anderen Museen oder es würden Standorte außerhalb des Museums zu Ausstellungen genutzt. Dies müsse sich nach der Eröffnung zeigen.
Hat man als Kurator ein Lieblingsstück in der Sammlung?
Diese Frage hört Stefan Lewejohann häufiger und ist immer etwas ratlos, wie er sie beantworten soll: „Die Sammlung ist extrem facettenreich und erlaubt ganz viele verschiedene Blickwinkel. Da ist es schwer, ein Exponat herauszuheben.“
Thematisch beschäftigt sich Lewejohann beispielsweise intensiv mit Aspekten wie Sportgeschichte, Migration und der Zivilgesellschaft in Köln. Die Objekte zu diesen Themen interessieren ihn entsprechend besonders.
So fallen ihm doch noch verschiedene Exponate ein, mit denen er eine besondere Geschichte verbindet: „Ein Objekt, das mir sehr nahesteht, ist ein Ford Taunus 17M.“ Das Auto hatte Stefan Lewejohann an einem Wochenende über E-Bay-Kleinanzeigen gefunden. Er habe es sofort als potenzielles Exponat für die Sammlung gesehen und sich um die Beschaffung von Geldern für den Ankauf bemüht. „Das hat dann auch geklappt und ich habe den Kauf getätigt. Als ich den Käufer besuchte, war ich vollkommen überrascht: Es handelte sich um einen portugiesischen Einwanderer, der eine intensive Leidenschaft für Köln entwickelt hat. Das ganze Auto war ein einziger „Köln-Schrein“ mit Köln-Schal, Stadtfarben, etc.“ Der Verkäufer sei, so erzählt Lewejohann weiter, überglücklich gewesen, dass sich das Kölnische Stadtmuseum für das Auto interessiere und habe dem Kurator seine gesamte Lebensgeschichte erzählt, die mit einem „Ich bin ne kölsche Jung“ geendet habe.
Das sei sehr ergreifend gewesen und noch heute müsse er jedes Mal an diesen Mann denken, wenn er das Auto im Depot sehe. Natürlich habe er die Geschichte des Mannes auch gleich mit dokumentiert, so dass sie mit dem Auto verbunden bleibe. Ähnlich bewegend war für Lewejohann die Geschichte eines Exponates, das sich heute nicht mehr im Museum befindet. Bei Recherchen sei man auf eine Wetterfahne gestoßen, deren Herkunft man ermittelt habe. Lewejohann: „Sie stammte aus der Champagne und zierte dort eine Mühle, die im Ersten Weltkrieg von den Deutschen gesprengt wurde. Die Wetterfahne wurde als Kriegsbeute mit nach Köln gebracht. Nachdem wir diese Geschichte erfahren haben, nahmen wir Kontakt mit dem betreffenden Ort auf. Dort kannte man die Details der Kampfhandlungen im Ersten Weltkrieg sehr gut, weil man jährlich daran erinnerte. Wir haben eine Abordnung zusammengestellt, mit Bürgermeister und verschiedenen Schüler*innen-Gruppen und sind nach Frankreich gereist, um die Fahne zurückzugeben. Das war ein einzigartiges Erlebnis und wird mir immer in Erinnerung bleiben.“
Was ist das Besondere an einem Stadtmuseum im Vergleich zu anderen Museen?
Wenn man sich die Besucher*innenzahlen ansieht, dann rangieren die Stadtmuseen meist nicht an erster Stelle des Interesses. Häufig laufen ihnen die großen Kunstmuseen oder Themenmuseen wie das Schokoladenmuseum den Rang ab. Ist es aber tatsächlich so, dass ein Stadtmuseum dem Publikum weniger zu bieten hat als andere Museen? Wie sieht das der Kurator, der sich täglich mit der Sammlung beschäftigt? Für Lewejohann ist gerade ein Stadtmuseum mit seinen Exponaten besonders interessant und wichtig. Die Vielfalt der Ausstellungsobjekte ermögliche aus seiner Sicht endlos viele Ansätze, um Geschichte und Geschichten zu erzählen: „Unser Stadtmuseum beherbergt so viele Objekte und Dokumente, die immer wieder ein anderes Licht auf die Geschichte werfen. So kann man beispielsweise die Geschichte des Karnevals erzählen oder die Geschichte der Einwanderung. Man kann aber auch nur einen Blick auf Karneval in Zeiten von Corona richten, wie wir dies 2021 mit unserer digitalen Ausstellung „Alaaf auf Abstand. Bilder einer anderen Session“ getan haben https://www.koelnisches-stadtmuseum.de/entdecken/mediathek/#alaafaufabstand. Die Möglichkeiten sind unendlich. Wichtig ist allerdings, dass man die Inhalte modern und zeitgemäß präsentiert. Dann erreicht man damit auch sein Publikum.“
Auch der Blick in die digitale Sammlung lohnt
Noch müssen wir als Publikum warten, bis wir das Kölnische Stadtmuseum besuchen können. Bislang ist die Eröffnung für Herbst 2023 geplant. Bis dahin kann man allerdings zumindest in der digitalen Sammlung ein wenig stöbern. Stefan Lewejohann empfiehlt die folgenden Exponate besonders:
- Mühle von Souain
- Fahne der demokratischen Gesellschaft
- Bottichwaschmaschine
- Andy Warhol, Cologne Cathedral
- Tefillin-Kapsel