Kölle, du bes e Jeföhl: Was macht uns wütend?

Es ist kein schönes Gefühl! Wenn die Wut in uns hochkocht. Wenn es in uns brodelt. Wenn das Herz rast und der Blutdruck steigt. Wenn wir vielleicht laut schreien möchten. Wenn wir um uns schlagen könnten. Oder wenn wir dabei plötzlich ganz ruhig werden, gefährlich ruhig. Viel zu ruhig…

Natürlich versuchen wir Menschen täglich dieses intensive Ur- Gefühl im Griff zu halten. Das ist eine entscheidende Regel in dem zivilen, friedlichen Miteinander einer Demokratie. Doch manchmal muss sie auch raus, diese unbändige Wut. Gegen Ungerechtigkeiten im persönlichen Umfeld, politische Intrigen, Gewalt, Mord, Krieg. Gegen so viel. Dabei können ungeahnte Kräfte freigesetzt und sogar gesellschaftliche Veränderungen erreicht werden.

In unserer neuen Dauerausstellung schauen wir uns auch diese Frage „Was macht uns wütend“ an – vom Mittelalter bis heute!

Ein Streikplakat der KVB. Die Schrift ist groß und rot.
Beim ‚KVB-Streik‘ kommt es zu massiven Auseinandersetzungen mit der Polizei. Für viele Kölner*innen ist diese Demo der Beginn ihrer Politisierung (Plakat als Aufruf zum KVB-Streik, Köln 1966 (Repro, KSM, Foto: RBA)

Es ist ein Powergefühl, vor dem viele Politiker Angst haben. Dabei sind die Kölner*innen in der Regel eigentlich um Ausgleich bemüht, heißt es immer. Wirklich? Dass das keineswegs immer der Fall ist, erleben die Verantwortlichen der Kölner Verkehrsbetriebe (KVB) und der Politik beispielsweise in den 1960er-Jahren.

Denn was zu viel ist, ist zu viel. Immer mehr Knete für wenige Kilometer durch die Stadt. Als die KVB ihre Fahrpreise im Jahr 1966 um satte 52 Prozent erhöhen wollen, kommt es zum Eklat. Rund 7000 junge Leute aus den Schulen und Universitäten laufen Sturm gegen diese Ungerechtigkeit. Bei den Demos knüppelt die Polizei sie rücksichtslos von den Gleisen und Straßen.

Viele der damaligen Demonstrant*innen erinnern sich heute noch sehr lebhaft daran. An Freistunden dafür in der Schule, an heftige Diskussionen überall, an Aufruhr. Für die meisten ist dies der Beginn ihrer Politisierung. Die Wut auf die Politik wächst.

HOHE STEUERN UND WAHLRECHT

Und es gibt viel mehr Beispiele: Preis- und Steuererhöhungen haben schon beispielsweise 1820 für Aufregung gesorgt: Damals führt die preußische Regierung die Mahl- und Schlachtsteuer ein. Vor allem die unteren Schichten leiden unter den hohen Preisen von Mehl, Brot und Fleisch. Tun dagegen können sie kaum etwas. Um die Wut der armen Menschen nicht noch mehr zu steigern, verzichtet die Kölner Politik 27 Jahre später auf die Einfuhrsteuer von Wild.

Ein Gemälde, welches viele verschiedene Menschen zeigt. Sie scheinen verzweifelt.
Die 1820 eingeführte Mahl- und Schlachtsteuer verteuert Mehl, Brot und Fleisch. Dies trifft vor allem untere Schichten (Die Erhebung der Schlacht- und Mahlsteuer, W. Kleinenbroich, Köln 1847, Köln, Foto: RBA)

Doch die Wut der Massen brodelt weiter. Mit der Industrialisierung wachsen Not und Elend in der immer größer werdenden Stadt.

Ändern können sie aber noch nichts: Erstens gibt es noch ein Dreiklassenwahlrecht, das die Ärmeren deutlich benachteiligt, und Frauen dürfen ohnehin keine Stimme abgeben. Der Kampf um den gesellschaftlichen politischen Wandel wird noch lange dauern.

Das Gemälde zeigt mehrere Personen, die an einem Galgen hängen. Die Stimmung und die Farben des Bildes sind düster.
Am 25. Oktober 1944 werden in der Ehrenfelder Hüttenstraße elf aus Polen und der Sowjetunion stammende Zwangsarbeiter erhängt. Der Maler Bert May ist Augenzeuge (Die Gehängten, B. May, Köln 1945 (KSM, Foto: RBA)

MACHT UND REICHTUM

Eine andere Kölner Geschichte: Im Jahre 1074 jagen die Kölner Kaufleute ihren Erzbischof Anno wütend aus der Stadt. Der Kirchengründer und Machtpolitiker hatte zuvor nicht nur mit harter Hand regiert, sondern dann auch noch das Schiff eines Kaufmanns beschlagnahmen lassen.

Die Wut dreht sich später leider um: Als der Erzbischof nach dem „Anno-Aufstand“ mit militärischer Verstärkung in die Stadt zurückkehrt, verhängt er drakonische Strafen. Es ist genau dieses letzte Mittel aller Machthaber, das oft so wütend macht.

So wie auch die Hinrichtungen des NS-Regimes. Beispielhaft dafür steht die Ermordung von elf polnischen und russischen Zwangsarbeitern am 25. Oktober 1944 in der Ehrenfelder Hüttenstraße. Allein in Köln fallen dieser Willkür mehr als 2000 Menschen zum Opfer.

Die Wut in Köln hat also reichlich Geschichte.

Zwei Sektflaschen. Beide sind leer. Auf der rechten Flasche steckt der Korken.
Die Herstatt-Bank beteiligt sich an riskanten Spekulationen. Im Juni 1974 kommt es – kurz nach Iwan D. Herstatts (Prädikatssekt-Flasche, Hochheim/Köln 1973 (Köln, Foto: RBA)

BANKENPLEITEN UND SKANDALE

Auch das „liebe“ Geld sorgt immer wieder für Skandale. Als die Kölner Herstatt-Bank 1974 wegen leichtfertiger Spekulationen vor der Pleite steht, versammelt sich die wütende Kundschaft vor dem Gebäude. Drinnen und draußen wird heiß diskutiert. Doch haben die Banker daraus gelernt? Wohl kaum.

Mit dem Oppenheim-Esch-Skandal wird 2008 das Ende einer über 200jährigen großen Bankgeschichte eingeläutet. Das Geldinstitut wird im Jahr 2009 erst an die Deutsche Bank verkauft und anschließend sang- und klanglos geschlossen.

Seit dem Mittelalter wird in Köln geschachert sowie betrogen, und dann das Ganze mit dem feinen Wort „Klüngel“ wunderbar überdeckt. Viel Unrecht macht deswegen bis heute zurecht wütend. Die Aufzählung von allen Vorfällen wäre an dieser Stelle wahrscheinlich endlos.

Ein paar davon haben die Journalisten Christian Maiwurm und Jochen Fischer von 1976 bis 1981 in der „Kölner Wochenschau“ verewigt. Bei ihnen geht es um regionale Themen wie Rheinverschmutzung, die Abholzung vom Hambacher Forst oder Wohnungsnot.

Klingt doch erschreckend aktuell, oder?

Autor: Michael Bischoff