Das Geheimnis der Kölner Stadtschlüssel in der POP-UP-BAR
Doch der Reihe nach: Wofür waren die Schlüssel? Sie sichern die Tore einer der größten und wichtigsten Metropolen von Europa. In Köln leben im Mittelalter rund 40.000 Menschen – für damals eine imposante Zahl.
Sie alle leben, arbeiten und handeln innerhalb einer Stadtmauer, die für Sicherheit und Superlative sorgt: Dieser gigantische Mauerring war rund neun Kilometer lang, umschloss eine riesige Fläche von über 400 Hektar (das entspricht rund 560 Fußballfeldern) und gilt bei seiner Vollendung im 13. Jahrhundert nach Rom und Konstantinopel als größte Stadtbefestigung Europas.
„Sie war noch gewaltiger als die Stadtbefestigung von Paris“, so Historiker Mario Kramp. „Die Mauer war damals wahrscheinlich zu groß dimensioniert.“ Er vermutet, dass die Stadt auf ein Wachstum setzte, das dann aber doch nicht so schnell eintrat wie erwartet. In den weiteren Jahrhunderten bleiben deswegen viele Grundstücke unbebaut. Im 18. Jahrhundert bestehen 13 Prozent der Stadtfläche aus Wein- und Kräutergärten.
Zurück zur Stadtmauer. Seit ihrem Abriss 1881 sind von dem gewaltigen Mauerring nur noch Fragmente übriggeblieben. Darunter die Severinstorburg, das Hahnentor und die Eigelsteintorburg.
WIE VIELE STADTTORE WAREN ABZUSICHERN?
Ein Rätsel der schützenden XXL-Mauer ist bis heute ungelöst: Wie viele Tore, Eingänge und damit mögliche Schlüssel hatte die Stadt überhaupt? Die Forschungsliteratur vermutet allein auf der Landseite zwischen neun und vierzehn Toren.
Von Süden nach Norden sind das ein Tor am Bayenturm, dann folgen Severinstor, Ulretor, Pantaleonstor, Schaafentor, Bachtor, Weyertor, Hahnentor, Ehrentor, Friesentor, Gereonstor, Eigelsteintor, Kahlenhausener Tor und das letzte am Kunibertsturm.
Am direkten Rheinufer entlang folgen weitere größere und kleine Tore und Zugänge zum Wasser. Ihre Zahl schwankt zwischen 19 und 32.
Diese gigantische Befestigungsanlage muss über die Jahrhunderte für Unsummen an Geld nicht nur ständig repariert und erneuert werden. Sie soll vor allem für Sicherheit sorgen. Dafür sind die Tore die entscheidenden Wege und „Nervenstränge“ in die Stadt hinein und hinaus – ob für Bürger*innen, Händler*innen, Bauern, Bäuerinnen oder auch feindliche Truppen.
ALTERTÜMLICHE VORHÄNGESCHLÖSSER
Doch wie schließt man eigentlich eine so große Stadt ab? „Mit Vorhängeschlössern“, verblüfft Mario Kramp. „Die sind von ganz altertümlicher Bauart, für die man riesige Steckschlüssel benötigte. Beim Hineinstecken spreizte sich eine Feder. So öffnete sich erst das Schloss und dann konnte man die gewaltigen Tore ebenfalls aufstemmen.“
Da diese Schlösser aus Sicherheitsgründen alle 14 Tage ausgetauscht werden müssen, gibt es schnell eine völlig unübersichtliche Anzahl von Schlüsseln dafür. Ob diese Security-Regel des Rates auch immer eingehalten wird, weiß bis heute niemand.
WER HATTE DIE SCHLÜSSELGEWALT?
Dafür wählt der Rat damals zwei Rentmeister als oberste Dienstherren. Die werden für ihren wichtigen Job von der Stadt richtig bezahlt und üben ihn bis 1437 lebenslänglich aus. Danach wird das Amt auf zwei Jahre beschränkt. Da zwei Rentmeister natürlich nicht alle Tore ständig unter Kontrolle haben können, reichen sie die Verantwortung an die Burggrafen weiter. Die wiederum beschäftigen dafür Torwächter und Büchsenmacher – alles natürlich damals eine reine Männersache.
„Die meisten Burggrafen wohnten direkt in oder bei den Toren und waren dafür verantwortlich, dass die jeden Morgen pünktlich geöffnet und abends wieder ordnungsgemäß verschlossen wurden,“ so Mario Kramp.
Im Alltag haben sich die Kölner übrigens schnell auf nur fünf größere Torburgen für den täglichen Durchgangsverkehr konzentriert. Das sind das Severinstor, Weyertor, Hahnentor, Ehrentor und Eigelsteintor.
Als Köln sich während des Truchsessischen Krieges in den 1580er Jahren in Gefahr sieht, werden aus Sicherheitsgründen alle Schlüssel zentral zusammengezogen und neben dem Stadtsiegel in einem „Hochsicherheitsschrank“ in der Rentkammer des Rathauses aufbewahrt. Doch wie viele lagern damals in jenem bestens bewachten Panzer-Schrank? Auch dazu gibt es leider keine verlässlichen Quellen. Fest steht nur: Zum Öffnen des Schrankes benötigt man 23 weitere Schlüssel…
DIE FRANZOSEN STEHEN VOR DEM TOR
Die mächtige Stadtmauer von Köln wird im Mittelalter niemals wirklich richtig angegriffen. Kein Wunder, dass der Befestigungsring im 18. Jahrhundert von außen zwar immer noch imposant und unversehrt aussieht, doch sich vor Ort als bröckeliges Gemäuer entlarvt. Eine Sanierung wäre dringend nötig gewesen.
Auch die Kölner Kanonen sollen sich beim Einmarsch der Franzosen als mittelalterliche Oldies entpuppt haben, deren militärische Effizienz Historiker Kramp stark bezweifelt. Bereits 1759 soll sich der französische Kommandant in Köln beklagt haben: „Wer diese Kanonen gebrauchen wolle, würde sich wohl eher selber töten“.
Doch zurück zum 4. Oktober 1794: Während die Französische Armee auf Köln vorrückt, um die kaiserliche Armee anzugreifen, zieht die sich über den Rhein in Richtung Osten zurück. Am 6. Oktober flüchten die letzten kaiserlichen Soldaten auf das andere Rheinufer nach Mülheim.
Sie waren stinksauer auf die Kölner. Der Grund: Sie hatten zur Verteidigung der Stadt um die (alten) Kanonen gebeten, die im Zeughaus lagerten. „Doch die Bürger hatten die Kaiserlichen hingehalten. Sie hätten entweder keine Leute für den Transport oder keine Zeit. Außerdem seien die Kanonen viel zu schwer,“ so Kramp.
Der Hintergrund für die kölsche Inhalte-Taktik: Die Ratsmitglieder möchten ihre Stadt unbedingt kampflos übergeben, um ein Blutbad und die Zerstörung zu vermeiden. Ein Spiel auf Risiko, denn was will der Gegner? Will er brandschatzen, morden und plündern? Oder möchte er vor allem „nur“ ganz symbolisch – die Schlüssel zur Stadt und damit die Macht.
Noch während der Rat der Stadt in den frühen Morgenstunden hektisch tagt, reitet der Poststallmeister Johann Peter Augustin Elsen den Franzosen auf der Aachener Straße mutig entgegen. Er ist zwar Mitglied der bürgerlichen Opposition, hat aber für seinen Vorstoß weder einen Auftrag noch eine Legitimation. So staunen die beiden Generäle Hatry und Morlot als militärische Vorhut nicht schlecht über den beherzten Bürger und erbitten von ihm für die Kapitulation die berühmten Schlüssel.
Elsen jagt zurück in die Stadt und der verblüffte junge Bürgermeister von Klespé begibt sich kurz darauf als Vertreter des erkrankten älteren Kollegen Bürgermeister Franz Kaspar Joseph von Herrestorff mit einer Delegation vor die Tore der Stadt, um den Wunsch zu erfüllen. Dafür muss er mit seiner Begleitung Kommandant Championnet treffen, der ebenfalls auf dem Weg nach Köln ist.
Die Schlüsselübergabe findet am Schlagbaum vor dem Hahnentor (dort kreuzt heute die Brüsseler die Aachener Straße) statt. Ob es zu einer zweiten Übergabe in Müngersdorf kommt, ist geschichtlich nicht sicher. Fest steht nur: Die 40.000 Kölner Bürger*innen haben damit ab sofort ihre Sonderstellung als Freie Reichsstadt verloren – die Franzosen besetzen die Stadt.
NEUN KÖLNER TROPHÄEN IN PARIS
Und die Schlüssel? Die kommen als Trophäen nach Paris und werden dort bejubelt. Doch welche der vielen sind es eigentlich? Fest steht: Bürgermeister von Klespé hat den Franzosen nur „neun Kantschlüssel antiker Bauart“, die an einem Eisenring hängen, übergeben. Wahrscheinlich gehören sie zu den Vorhängeschlössern von neun Haupttoren.
Diese Kölner Stadtschlüssel landen im Nationalarchiv neben weiteren u.a. auch aus Aachen und Jülich. Dort liegen sie neben den Nationalheiligtümern der Französischen Republik: Der Verfassung von 1791, der Erklärung der Menschenrechte von 1789, dem Ur-Kilogramm sowie dem Ur-Meter aus Platin.
Und genau dort im Hochsicherheitsschrank werden die Stadtschlüssel im Laufe der nächsten Jahrzehnte als Kriegsbeute buchstäblich vergessen. Die meisten europäischen Stadtmauern und ihre Tore sind auf dem Weg in die Moderne längst gefallen und haben völlig ihre Bedeutung verloren.
Erst in den 1980er Jahren fordern deutsche Städte von Paris ihre Schlüssel zurück – als Zeichen der deutsch-französischen Freundschaft. Da diese Original-Schlüssel von den Franzosen allerdings nie geraubt, sondern freiwillig von den Deutschen übergeben worden waren, konnten die „Geschenke“ nicht einfach zurückgegeben werden. So werden von (fast) allen Kopien angefertigt und zurück in ihre Heimat geschickt.
Doch während beispielsweise Trier und Aachen jetzt mit Stolz ihre einzigartigen besonderen Repliken präsentieren, interessiert sich in Köln kein Mensch für die neun Stadtschlüssel in Paris. Warum bittet niemand um die Originale oder wenigstens aufwändig produzierte Kopien der kostbaren Schlüssel?
Der verblüffende Grund: Man hatte damals im Jahr 1794 nie ALLE Stadtschlüssel aus der Hand gegeben. Man konnte es gar nicht, weil die Zahl unüberschaubar und allein ihre Verwaltung ein bürokratisches Chaos war. Das bedeutete: Köln hatte immer genug eigene Original-Schlüssel übrig – bis heute.
Deswegen freut sich das Stadtmuseum über ein ganz besonderes Highlight in der POP-UP-BAR: In der Ausstellung werden jetzt die originalen neun Schlüssel präsentiert, die 1794 an die Franzosen übergeben wurden. Es ist eine Leihgabe des Pariser Archives Nationales.
Unsere Pop-up-Bar mit dem Highlight-Exponat: der Original-Schlüsselbund, © C. Ehrchen
ZUGABE MITADENAUER UND BAUER
Damit ist die Geschichte der Kölner Stadtschlüssel aber noch lange nicht beendet. Wie ist ein Schlüssel in ein Museum nach Moskau gekommen? Welchen hat Konrad Adenauer versteckt? Und welche Schlüssel trägt eigentlich der Kölner Bauer alljährlich im Karneval? Und warum? Diese und mehr Fragen beantwortet Kurator Mario Kramp nicht nur in unserem neuen Podcast mit Birgitt Schippers, sondern auch in dem spannenden Buch „1794 Köln – Paris. Das Geheimnis der Kölner Stadtschlüssel“ (235 S., Verlag Ralf Liebe, 24 Euro). Es entstand in engem Austausch mit dem Archives Nationales.
(Text: Michael Bischoff)