1848 – Der Kölner Kampf um Freiheit
Es sind die aufregendsten sieben Monate des 19. Jahrhunderts in Köln. Dazu gehören ein Fenstersturz aus dem Rathaus, die weltberühmten Polit-Legenden Karl Marx sowie Friedrich Engels als Journalisten, der beliebte Armenarzt Andreas Gottschalk und die Frauenrechtlerin Franziska Mathilde Anneke, außerdem: leere Barrikaden in der Altstadt. Sie alle sind Teil der spektakulären Ereignisse, die vor 175 Jahren ganz Europa elektrisieren: Die Revolution 1848.
SOZIALE SPANNUNGEN STEIGEN
Es geht um rund 200 dramatische Tage voller politischer Geschichte(n), großer Schicksale und friedlichem Kampf. Wir werfen Schlaglichter auf eine Zeit, in der die Kölner*innen politisch über sich hinauswachsen.
Doch wie kommt es im friedlichen Köln zu einer Revolution? Ausgerechnet in einer Stadt, die relativ friedlich durch das Mittelalter gekommen war, sich 1794 kampflos den Franzosen ergeben und im September 1804 sogar Kaiser Napoleon nebst Gattin empfangen und gefeiert hatte.
In Köln leben kurz vor den dramatischen Märztagen von 1848 rund 90.000 Einwohner*innen. Nur wenige Tausend Männer gestaffelt nach Einkommen und Wohlstand dürfen im Stadtrat eine politische Stimme abgeben. Ein paar wenige Reiche und Mächtige bestimmen und regieren die Stadt alleine.
Die Masse der Kölner*innen sind einfache Handwerker*innen und Arbeiter*innen. Durch den Einsatz von neuen Maschinen (vor allem in der Tuchweberei) verlieren immer mehr Menschen ihre Jobs, rutschen in der völlig überfüllten Stadt an die Armutsgrenze und kämpfen ums Überleben.
Im Jahr 1848 verzeichnen die Armenlisten rund 25.000 Bewohner*innen. Das Elend wächst unaufhaltsam. Zwar erlaubt die preußische Regierung beispielsweise Kinderarbeit in Fabriken (und Bergwerken) erst ab dem 9. Lebensjahr, doch nicht aus humanitären Gründen: Die preußische Armee sorgte sich um ausreichenden, gesunden Nachwuchs. Ansonsten, lässt sie es „laufen“.
SOZIALER FUNKE ZÜNDET IN PARIS
Die soziale und demokratische Schieflage in Köln ist kein regionaler Einzelfall. Und so ist es auch kein Wunder, dass der soziale Sprengstoff im schon immer aufgeklärteren und mutigeren Paris als erster explodiert. Am 26. Februar 1848 bricht dort die Revolution aus und der König muss zurücktreten. Der französische Funke erreicht Köln bereits am 3. März 1848 – der Tag nach Weiberfastnacht.
Am späten Freitagnachmittag demonstrieren rund 5000 wütende und aufgebrachte Kölner vor dem Rathaus. Es sind Handwerker*innen, Arbeiter*innen, Gesell*innen und Tagelöhner*innen.
Der bekannte und beliebte Armenarzt Andreas Gottschalk (1815-1849) vom „Bund der Kommunisten“ wird schließlich ins Rathaus vorgelassen und fordert im Namen des Volkes:
Das allgemeine Wahlrecht für alle, Rede- und Pressefreiheit, die Aufhebung des stehenden Heeres und die Einführung einer allgemeinen Volksbewaffnung, ein freies Vereinigungsrecht, den Schutz der Arbeit und die Sicherstellung menschlicher Bedürfnisse für alle sowie die vollständige Erziehung der Kinder auf öffentliche Kosten.
Der Stadtrat lehnt zunächst alle Forderungen ab. Als die wütende Menge vor dem Rathaus immer weiter anwächst, versuchen preußische Soldaten die aufgebrachten Menschen zu vertreiben.
Es kommt zur Panik vor den Bewaffneten. Da es keine Fluchtwege gibt, drängen sich viele Demonstrierende ins Rathaus. Aus Angst vor den immer wütender werdenden Protestierenden springen zwei Stadtpolitiker aus dem Fenster. Die Folge ist glimpflich: Ein Beinbruch, mehr nicht.
ERST KARNEVAL, DANN POLITIK
Doch ab jetzt geht’s rund. Zunächst feiern die Kölner*innen zwar noch ihren heißgeliebten Karneval zu Ende, doch das soziale Feuer lodert weiter. Weil die Versammlungs- und Pressefreiheit erstmals doch erlaubt werden, entstehen überall politische Diskussionsrunden und -Zirkel.
In der Folge gründen die Kölner ihre erste Bürgerwehr (20 Kompanien, 6000 Männer) und Andreas Gottschalk (1815-1849) den ersten Kölner Arbeiterverein (8000 Mitglieder). Er wird schnell einer größten in Deutschland. Mit der Gründung der „Demokratischen Gesellschaft“ im Café Stollwerck wehen die ersten roten Fahnen in Köln.
Mitten in den Aufruhr kommen Karl Marx (1818-1883) und Friedrich Engels (1820-1895) zurück nach Köln und sorgen mit der Neuen Rheinischen Zeitung für kritische Begleittöne. Sie berichten über das soziale Elend in Deutschland. Kein Wunder, dass ihre bürgerlich-liberalen Unterstützer allmählich drohen, den Geldhahn zuzudrehen.
Schon kurz vor der Revolution hatte Marx in seinem kommunistischen Manifest aufgerufen: „Proletarier aller Länder, vereinigt euch!“ Schon damals ein publizistischer Paukenschlag gegen die Ausbeutung der Gesellschaft, der Jahrzehnte später noch für weitreichende globale Veränderungen sorgen wird.
KÖLNER NAMEN MACHEN GESCHICHTE
Auffallend in Köln ist, wie unterschiedlich die Blick- und Ausrichtungen der einzelnen Gruppen sich unterscheiden – von monarchisch, bürgerlich, demokratisch bis radikal sozialistisch. Doch Köln wird vor allem für kurze Zeit, so Historiker Mario Kramp, zum Zentrum der radikalen Linken.
Ein paar Namen stehen stellvertretend für die politischen Ereignisse der damaligen Monate:
Zu ihnen gehören der Kölner Maler Wilhelm Kleinenbroich (1812-1895), ein Revolutionär und Mitglied in Gottschalks Arbeiterverein.
Der Schriftsteller Moses Hess (1812-1875) fordert die Aufhebung der Klassenunterschiede.
Franziska Mathilde Anneke (1817-1884) gilt als Vorkämpferin der Frauen-Emanzipation und veranstaltet in ihrem Haus das „kommunistische Klübchen“.
Ferdinand Lassalle (1825-1864) wird Wortführer der deutschen Arbeiter*innenbewegung.
Franz Raveaux (1810-1851) gilt als Sohn eines Kölner Franzosen 1848 als der populärste Mann in Köln. Kein Wunder, er engagiert sich neben der Politik auch noch für Reformen im Karneval und den Weiterbau des Doms.
Der Jurist Hermann Becker (1820-1885) wird nicht nur wegen seiner Haare als „der rote Becker“ bezeichnet.
Linken-Chef Robert Blum (1807-1848) gilt als Streiter für Einheit und Freiheit in Köln.
Sein Parteikollege Jakob Venedy (1805-1871) engagiert sich zunächst vom Pariser Exil aus, dann auch in Köln für die revolutionären Ideen.
Der Kaufmann Gustav Mevissen (1815-1899) gilt als Linksintellektueller, fordert Reformen, ergreift aber auch Partei für den preußischen König.
Der Bankier Ludolf Camphausen (1803-1890) lehnt alle Forderungen nach einem deutschen Nationalstaat ab. Er will die Revolution ausbremsen und den Ausgleich mit der Obrigkeit.
Der Unternehmer Heinrich von Wittgenstein (1797-1869) ist zwar Präsident der Armenverwaltung, des Festkomitees Kölner Karneval und des Dombau-Vereins. Doch als erster Regierungspräsident tritt er nach dem Misstrauensvotum der Bürgerwehr bereits 1848 zurück.
Peter Heinrich Merkens (177-1854) steht als Präsident der Handelskammer und Direktor der Rheinischen Eisenbahngesellschaft für die Gleichstellung jüdischer Menschen und des Freihandels.
PREUSSISCHE REGIERUNG SCHLÄGT ZURÜCK
Bald wehen überall in Köln Fahnen in Schwarz-Rot-Gold. Das sind auch die Farben der Kölner Bürgerwehr, die sich in den aufkeimenden Kämpfen allerdings auffallend zurückhält. Denn dass die preußische Regierung sich den Kölner Aufstand nicht lange aus der Ferne tatenlos anschauen kann, liegt auf der Hand.
Es folgen Verhaftungen und weitere Proteste. Engels hatte zwar große Demonstrationen mit roten Fahnen organisiert, doch die Lage spitzt sich
zu. In der Altstadt errichten die Revolutionär*innen schließlich am 25. September gegen die preußischen Soldaten überall Barrikaden.
Doch als keine Truppen erscheinen, gehen die kampfbereiten Bewacher*innen am Abend in die Brauhäuser und feiern. Die erwarteten Truppen kommen allerdings erst in den frühen Morgenstunden und finden keine Gegenwehr – die Revolution geht in einem ganz anderen Rausch unblutig zu Ende.
Am gleichen Tag müssen alle Bürger*innen ihre Waffen abgeben. Die preußische Staatsmacht greift rücksichtslos durch.
Als der König die Nationalversammlung in Frankfurt im Dezember auflöst, flammen in Deutschland noch einzelne Proteste auf. Marx ruft die Kölner*innen zur Ruhe und Besonnenheit auf. So bleibt es am Rhein friedlich. Ein paar Monate später im Mai 1849 wird er aus der Stadt ausgewiesen.
Der Rest ist Geschichte: Die Staatsmacht verbietet kritische Zeitungen und den Arbeiterverein, bespitzelt polizeilich Vereine oder löst sie sofort auf. Beim sogenannten Kölner Kommunistenprozess 1852 werden viele Beteiligte verurteilt, oder sie flüchten noch rechtzeitig ins Exil.
Mathilde Franziska Anneke (1817-1884) ist eine von ihnen. In den USA engagiert sie sich für Frauenrechte und gegen die Sklaverei. Anneke gründet eine deutschsprachige Mädchenschule. Die Vorkämpferin der Emanzipation stirbt 1884 in Milwaukee.
Carl Schurz (1829-1906) macht als Gegner der Sklaverei in den USA Wahlkampf für Abraham Lincoln. Er wird Botschafter in Spanien. Dann kämpft er, wie viele deutsche 48er, im Bürgerkrieg für die Union. 1877 wird er US-Innenminister. Als angesehener Politiker stirbt er 1906 in New York.
Schwarz-Rot-Gold gegen Schwarz-Weiß-Rot
Die Verfassung des Parlaments in der Frankfurter Paulskirche wird zum Vorbild für die Weimarer Republik. Schwarz-Rot-Gold werden 1919 wieder Nationalfarben und von den Deutschnationalen verunglimpft. Die Republik scheitert. Die Nazis übernehmen die Macht – unter schwarz-weiß-roten Hakenkreuzflaggen. Der Zweite Weltkrieg beendet die deutsche Diktatur.
Nach 1945 knüpfen die Mütter und Väter des Grundgesetzes wieder an die republikanischen Ideale und die Erklärung der Grundrechte des deutschen Volkes von 1848 an. Sie sind bis heute richtungsweisend.
(Text: Michael Bischoff)