
Spannender Rückblick auf 200 Jahre Kölner Karneval
KARNEVAL IN KÖLN. Wie alles begann …
Was für ein stolzes Jubiläum! Der Karneval in Köln feiert sein 200jähriges Jubiläum, und wir feiern noch immer mit: Das Kölnische Stadtmuseum präsentiert vom 2. Juni bis 30. Juli eine große Geburtstags-Ausstellung. Die jecke Zeitreise entstand in Zusammenarbeit mit dem Festkomitee Kölner Karneval und unserem Gastgeber, dem benachbarten Museum für Angewandte Kunst. Also Alaaf und hinein – in eine urkölsche Geschichte voller verblüffender Details.
Doch wir müssen erst einmal stark sein: In Köln wurde der Karneval natürlich nicht erfunden, sondern nur erstmals neu „geordnet“. Der Begriff Carneval (also noch geschrieben mit C) kommt aus dem Italienischen und bedeutet „Carne vale“ (auf Deutsch: „Fleisch lebe wohl!“). Das bedeutet nach christlichem Glauben: Schluss mit lecker Fleischessen. 40 Tage vor Ostern beginnt die Fastenzeit.
Die Folge: Die Menschen wollen noch einmal richtig einen draufmachen. Das tun sie seit Jahrhunderten. Wild, ausgelassen und frech. So tobt sich der Carneval durch die Zeit. Nur nicht unbedingt immer zur Freude der Kirche und vor allem der Regierenden.
REFORMDRUCK IN KÖLN
Es geht wie immer ums Geld! Denn worüber sich die Kölner Bürgerinnen und Bürger erst gefreut haben, schlägt wie ein böser Bumerang zurück. Schuld sind die Preußen: Die haben 1821 alle Abgaben auf öffentliche Lustbarkeiten abgeschafft. Die eingesparten Steuergelder allerdings fehlen in Köln schnell für die Finanzierung unter anderem von Kranken- und Waisenhäusern. Es müssen neue Einnahmen her, und das möglichst rasch.
Außerdem ist der fernen preußischen Regierung schon länger das ungezügelte (karnevalistische) kölsche Feiern „unheimlich“. Wer Regierende verspottet, könnte aus Berliner Sicht auch politisch „gefährlich“ werden. Es drohen Feier-Verbote – und das wollen die Kölner unbedingt verhindern.
So entsteht das kölsche Angebot an die Machthaber in Berlin: Bitte erlaubt uns die uns fehlende „Unterhaltungssteuer“ wieder. Wir versprechen dafür im Gegenzug, den ungezügelten Karneval am Rhein in „geordnete“ Bahnen zu lenken. Damit wollen einflussreiche Geschäftsmänner die Preußen beruhigen und mehrere Fliegen mit einer Klappe schlagen.
Denn die rheinischen Herren möchten noch viel mehr! Sie leben in den Zwanzigern vor 200 Jahren, das ist die Hoch-Zeit der Romantik. Dabei werden alte Bräuche und Traditionen neu entdeckt und wiederbelebt. In diesem Geist stehen auch die Mitglieder der „Olympischen Gesellschaft“. Die beiden führenden Köpfe sind die Kaufleute und Sammler Ferdinand Franz Wallraf (1748-1824) und Matthias De Noel (1782-1849). Beide hoffen damit auch für sich und Köln auf einen wirtschaftlichen Aufschwung.
DAS FESTORDNENDE COMITÉ
Die traditionelle Herrenrunde gründet also das „Festordnende Comité“ und wählt Johann Heinrich Franz Anton von Wittgenstein (1797-1869) zum ersten Präsidenten. Der junge Mann stammt aus einer einflussreichen Bankiersfamilie. Zum besseren Einordnen: Sein Vater und auch Großvater waren bereits Kölner Bürgermeister.
In der Proklamation 1823 verfassen die Herren folgenden Text: „Der in Teutschland einstens so berühmte kölnische Carneval soll durch das Zusammenwirken mehrerer Verehrer alter Volksthümlichkeit in diesem Jahr durch einen allgemeinen Maskenzug erneuert und gefeiert werden.“ Das neue Comité verspricht außerdem, alle Überschüsse aus den neu organisierten Karnevalsfeiern an die Armenverwaltung abzuführen.
GELUNGENE JECKE PREMIERE
Der zentrale Höhepunkt des Comités steigt am Rosenmontag, dem 10. Februar 1823 auf dem Neumarkt. Festgelegt wird damit für die nächsten zwei Jahrhunderte: Der Zoch kütt ab jetzt immer am Montag vor Aschermittwoch.
Zur Premiere heißt das Spektakel „Maskenzug“. Bereits dabei sind die Roten Funken, die Heilige Knäächte un Mägde sowie das Geckenbähnchen. Der erste Prinz heißt damals noch „Held Carneval“ und ist der Kölnisch-Wasser-Fabrikant Emanuel Stefan Ciolina Zanoli. Er bleibt übrigens für zehn Jahre im Amt.
An seiner Seite steht anfangs noch Prinzessin Venetia. Zum Amüsement des Publikums dargestellt von einem Mann, dem Bankierschef Simon Oppenheim. Die Figuren von Jungfrau und Bauer sind zwar auch bald in den nächsten Zügen unterwegs, werden aber erst 1883 zur Einheit mit dem Prinzen zusammengeführt. 1937 werden die drei dann ganz offiziell zum „Kölner Dreigestirn“.
Zurück zum ersten Zoch: Bereits um 9 Uhr morgens holt die „Fußgarde“ den „Held Carneval“ von seiner Wohnung ab, zieht zum „Kaiserlichen Hof“ auf der Breite Straße und gegen 11 Uhr über die Apostelnstraße zum Neumarkt.
Fest steht: Die jecke Premiere gelingt! Der Zoch zieht zwei- oder dreimal über den Neumarkt und wird lautstark bejubelt.
Die heutigen Kamelle und Strüssjer gibt es dabei übrigens noch nicht. „Doch bereits ein Jahr später 1824 hatte man im Zoch einen Hofmedicus dabei. Der führte auf seinem Wagen eine große Klistierspritze mit sich. Daraus schoss er Duftwasser und Blumen in die Menge“, weiß Johanna Cremer. Im Laufe der Zeit kommen Erbsen und Luftschlangen dazu. In den 1830er Jahren nimmt dabei der Dreck übrigens so zu, dass das Festordnende Comitè das Erbsenschießen auf Druck der preußischen Regierung eindämmen muss.
Was die beobachtenden preußischen Abgesandten offenbar nicht wirklich mitbekommen: In den Wirtshäusern rund um Alter- und Heumarkt hat zu diesem Zeitpunkt längst wieder der zügellose und unorganisierte Karneval begonnen. Nicht alle Kölner feiern also die historische Premiere auf dem Neumarkt. Der Grund: Sie können sich die „Maskentickets“ gar nicht leisten.
KOSTÜMRAUSCH UND NEUE TÖNE
Der Rollentausch gehört zum Kölner Karneval wie der Dicke Pitter zum Dom. Seit Jahrhunderten ist es das schamlose Treiben, das alle auf- und anregt: Der Bauer schlüpft in die Rolle des Priesters, und der Gottesmann wird zum Bettler.
Doch so wild geht es damals auf dem Neumarkt nicht zu: Mit dem Verkleiden harmloser Händler als Soldaten wird die Ordnungsmacht augenzwinkernd persifliert. Dafür greift das Festordnende Comité auf Helme und Brustpanzer zurück, die im Rathaus lagern. Noch kurioser: Auch die Ordnungsmacht macht mit. „Für den Umzug stellen die Preußen auf Bitte der Kölner sogar Statisten zur Verfügung. Es sind sogenannte Leihsoldaten“, erzählt Johanna Cremer.
Die Reformer wollen aber noch viel mehr: Sie geben der Karnevalsmusik eine neue Rolle. So verfasst Samuel Schier als erster karnevalistischer Hofpoet 1823 das Lied „Thronbesteigung des Helden Carneval“. Es folgen schnell weitere Songs und Melodien. Sie werden „Bellentöne“ genannt und bei der Generalversammlung des „Festordnenden Comités“ gesungen. Daraus gehen später die traditionellen Sitzungen hervor. Dazu gehört natürlich auch die neu eingeführte „Bütt“. Eigentlich die „Waschbütt“, in der schmutzige Wäsche gewaschen wird. Erste Redner parodieren in ihr auf der Bühne ab 1828 das Alltagsleben. Karnevalist Franz Raveaux nutzt ab 1843 die Bütt für seine ersten politischen Satiren. Jetzt bekommen auch das Comité, die Reichen und der Kölsche Klüngel ihr „Fett weg“.
Mit den Nazis wird in den 1930er Jahren der Kölner Karneval erstmals für die Propaganda politisiert: Durch das Verbot von Travestie und Homosexualität ist ein Mann als Jungfrau untragbar. So installieren die NS-Ideologen 1938 mit der 19jährigen Paula Zapf aus Nippes die erste weibliche Jungfrau. Bei der Proklamation im Gürzenich wird sie mit donnerndem Applaus und Hochrufen gefeiert.
Im Zoch sind antisemitische Mottowagen dabei. So beispielsweise 1934: „Die letzten (Juden) ziehen ab“. Und der unbeugsame Topstar der Bütt, Karl Küpper, erhält 1939 von den Nazis sogar ein „lebenslanges Redeverbot“.
FESTE FEIERN UND VERDIENEN
Doch egal, wer in Köln wie regiert: Die reichen Bürger und Bürgerinnen lieben ihre Maskenbälle als gesellschaftliches Ereignis. Die sind bereits seit 1799 ein Hit und werden schon von der französischen Besatzung toleriert. Mit dem neuen Karneval organisiert auch das Comité ein eigenes Fest. Das erste steigt bereits 1824 im Gürzenich – und entwickelt sich am Abend des Rosenmontags zu einem Höhepunkt des jecken Treibens. Die Veranstalter spekulieren bei ihren Ausgaben sehr geschickt: Durch die Einnahmen (als Eintritt gibt’s Maskenball-Karten) finanzieren sie nicht nur den Ball, sondern auch den Zoch.
Geld regiert die Welt – und den Karneval. Neben allen Lustbarkeiten wird das jecke Treiben auch schnell zu einem finanziellen Erfolg: So vermieten Anwohner am Neumarkt schon beim zweiten Rosenmontagszug 1824 ihre Fenster privat an wohlhabende Bürger zum Zuschauen. Auf dem Markt entstehen bereits 1829 zum erfolgreichen Verkauf ein spezieller „Narrentabak“ und ein „Karnevalspapier“. Aus ersten handgemachten Karnevalsorden werden zur Jahrhundertwende industriell gefertigte Prestige-Objekte.
Und der Kölner Karneval wird auch immer touristischer: Am Rosenmontag 1866 zählt die Rheinische Eisenbahn bereits 16.907 Fahrgäste, die extra zum Karneval nach Köln fahren. Sie alle wollen hier nicht nur feiern, sondern natürlich auch Geld ausgeben für lecker essen, trinken und „Souvenirs“.
Bis heute hat sich der Karneval zu einem bedeutenden Wirtschaftsfaktor der rheinischen Region entwickelt mit einem jährlichen Traumumsatz von rund eine halben Milliarde Euro.
AUS DER VERGANGENHEIT FÜR DIE ZUKUNFT LERNEN
Und wo steht der Kölner Karneval heute? „Wenn es um die Auswüchse beim Feiern und Trinken geht, sind wir heute nicht viel weiter als vor 200 Jahren“, gesteht Christoph Kuckelkorn, der Präsident des Festkomitees Kölner Karneval von 1823. „Wir müssen den Gästen von außerhalb weiterhin verstärkt unsere Tradition und Bräuche näherbringen.“
Was den obersten Kölner Jecken aber am meisten imponiert, das sind der Karneval und die Leidenschaft der Kölner selber: „Die Durchdringung der Gesellschaft ist hier bei uns weltweit einzigartig.“
Wie Christoph Kuckelkorn die Vergangenheit und Zukunft des Karnevals einordnet, und wie die Macherin Johanna Cremer die vielfältigen Aspekte des Karnevals zusammengestellt hat, das erfahrt ihr noch viel ausführlicher in unserem neuesten Podcast von Birgitt Schippers.
Die Ausstellung präsentieren wir in der obersten Etage des Museums für Angewandte Kunst. Sie gliedert sich in elf spannende Kapitel, bietet speziell für Kinder ein Mitmachheft und einen ungewöhnlichen Chatbot, bei dem die Besucher und Besucherinnen direkt mit den Exponaten ins „Gespräch“ kommen können.
Die aufwendige Schau wird unterstützt von den Freunden des Kölnischen Stadtmuseums e.V., der Kölner Kulturstiftung der Kreissparkasse Köln, den Freunden und Förderern des Kölnischen Brauchtums e.V. und der Privatbrauerei Gaffel.
(Text: Michael Bischoff)